Region 13
Bayerischer Wald, Unterbayern, Oberbayern, Chiemgau

Was ist ein Erdstall?

Die Menschen vergangener Zeiten haben aus unterschiedlichen Gründen nicht nur Gebäude auf, sondern auch Bauwerke unter der Erdoberfläche angelegt. Bei vielen dieser unterirdischen Anlagen wie Brunnen, Verbindungsgängen, Kulträumen, Kellern oder Bergbaustollen ist ihre ursprüngliche Zweckbestimmung auch heute noch erkennbar. Es gibt im Untergrund aber auch Gänge und Kammern in beträchtlicher Zahl, deren Funktion bislang rätselhaft geblieben ist: Sie können nicht sicher datiert werden und aus ihrer Konstruktionsweise lässt sich kein eindeutiger Nutzungszweck ableiten.

Solche unterirdischen Bauten werden häufig ganz allgemein als Erdställe bezeichnet. Dabei bedeutet der Begriff Erdstall zunächst einmal nichts anderes als eine "Stelle" in der Erde. Diese "unterirdischen Stätten" weisen eine große Formenvielfalt auf. Sie können aus wenigen kleinen Hohlräumen, aber auch aus kompliziert angelegten Gangsystemen bestehen. Solange wir nicht wissen, seit wann es diese Anlagen gibt, weshalb sie erbaut worden sind und ob sie denselben oder ganz unterschiedlichen Zwecken gedient haben, ist es im Grunde unmöglich, eine allgemeingültige Definition des Erdstallbegriffes zu geben. Wir können daher zunächst nichts weiter tun, als möglichst viele Informationen über dieses interessante Phänomen zusammenzutragen.


Wo findet man Erdställe?

Die meisten Erdstallanlagen in Deutschland wurden bisher im südöstlichen Bayern, überwiegend in der Oberpfalz, sowie in Nieder- und Oberbayern, dokumentiert. Aber auch in Österreich, vor allem in Oberösterreich, Niederösterreich und in der Steiermark, sowie im angrenzenden Tschechien (Mähren) sind Erdställe in großer Zahl gefunden worden. Überdies existieren eine Reihe erdstallähnlicher Anlagen in weiteren europäischen Ländern wie Frankreich, Irland und Spanien.

Der weitaus größte Teil der Erdstallfundorte befindet sich im ländlichen Raum. Häufig  treten Erdställe unter alten Bauernhöfen, manchmal unter Kirchen bzw. Friedhöfen, vereinzelt aber auch im Bereich von Burganlagen und auf freiem Feld zutage.


Was wissen wir über Erdställe?

Allein in Deutschland und Österreich sind in der Vergangenheit hunderte Erdstallanlagen  entdeckt und erfasst worden.

Leider wurde der Großteil dieser unterirdischen Gangsysteme in den letzten Jahrzehnten durch Baumaßnahmen zerstört - und damit sind zahllose wichtige Informationen für immer verloren gegangen.

Erdställe, die eingehender erkundet werden konnten, unterscheiden sich in Größe und Form erheblich voneinander. Man kann daher kaum Aussagen machen, die auf alle Erdstallanlagen gleichermaßen zutreffen. Es gibt allerdings einige bauliche Merkmale, die mehr oder weniger häufig auftreten.

In der Regel sind die Erdställe, speziellen Bergbautechniken und den Gesetzen der Statik folgend, mit Gangprofilen in Rund- oder Spitzbogenform aus dem anstehenden Gestein herausgearbeitet worden. Die Bearbeitungsspuren sind in vielen Anlagen noch gut erkennbar.

In ihrem Verlauf können Erdstallgänge manchmal mehrfach die Richtung ändern, sich kreuzen, Stufenpassagen aufweisen, Rundgänge bilden bzw. sich zu Kammern erweitern. Eine Besonderheit zahlreicher Erdställe sind horizontale oder vertikale Engstellen (sogenannte Schlupfe), die einzelne Räume oder sogar unterschiedliche Ebenen verbinden.

Nicht selten findet man in den Erdstallwänden Nischen verschiedener Größe: Diejenigen unter ihnen, in denen sich theoretisch eine Person bequem niederlassen könnte, sind in der Vergangenheit gemeinhin als Sitznischen, kleinere Eintiefungen in den Wänden hingegen als Licht- oder Tastnischen interpretiert worden.

Typischerweise gibt es in Erdstallgebieten meist auch Sagen über Zwergenvölker, die im Untergrund leben.

Die Zwerge haben regional unterschiedliche Namen, wie z.B. Schrazen, Alraun, Erdweibl, Zwergerl (D-BY); Quwerx(D-SN); Erdmannli, Schrattenmeitli (CH); Scrat (GB); Fadet (F).

Es liegen allerdings bislang noch viel zu wenige grundlegende Forschungsergebnisse vor, um die in den untersuchten Anlagen gesammelten Beobachtungen in umfassende Erklärungsmodelle zum Erdstallbau und Nutzungszweck einordnen zu können.


Wann sind die Erdställe entstanden?

Entstehungszeit

Die wenigen bisher durchgeführten Datierungen von Fundobjekten aus Erdstallanlagen verweisen allesamt ins Hochmittelalter. Doch die aus Erdställen geborgenen Funde wie Holz, Holzkohle oder Keramikscherben, die Hinweise auf das Alter dieser Anlagen geben könnten, stammen wahrscheinlich nicht aus ihrer Bauzeit, sondern sind irgendwann später in die unterirdischen Gänge und Kammern hineingelangt. Sehr häufig wurden Fundgegenstände sogar erst, als Erdställe im Spätmittelalter oder in der frühen Neuzeit aufgegeben und zugeschüttet worden sind, zusammen mit anderem Verfüllmaterial eingebracht.


Schriftliche Quellen

Historische Texte schweigen sich über die Erdstallanlagen weitgehend aus. Das ist allerdings nicht weiter verwunderlich, da die Bautätigkeit der breiten Bevölkerung - gleichgültig, ob sie ober- oder unterirdisch vonstatten gegangen ist - in der Vergangenheit nur äußerst selten Spuren schriftlicher Art hinterlassen hat.


Archäologische Untersuchungen

Die Archäologie könnte möglicherweise Fragen klären, die von den schriftlichen Quellen unbeantwortet bleiben. Leider sind bislang nur in sehr wenigen Erdstallanlagen sorgfältige archäologische Grabungen durchgeführt worden.


Welche Erklärungsversuche zur Zweckbestimmung gibt es?

Auch wenn unser heutiges Wissen über Erdställe nicht ausreicht, um ihren einstigen Nutzungszweck zu erklären, fordert dieses historische Rätsel gleichwohl zu Deutungsversuchen heraus. Die verschiedenen Erklärungsansätze spielen natürlich auch eine wichtige Rolle bei der Formulierung von Fragen, die anschließend mittels der Archäologie, der Geschichtswissenschaft und anderer Disziplinen untersucht werden sollten.

Die im Laufe der Zeit entwickelten Thesen lassen sich generell zwei verschiedenen Grundannahmen zuordnen: Die einen gehen davon aus, dass Erdställe als Zweckbauten angelegt worden sind, also beispielsweise als Zufluchtsstätten, Verstecke oder Vorratsräume ursprünglich eine profane Funktion erfüllen sollten.

Andere Theorien nehmen an, dass diese unterirdischen Anlagen nur in einem religiösen Kontext verstanden werden können. So betrachten sie Erdställe als Kultorte, an denen vorchristliche Rituale (womöglich auch noch in christlicher Zeit) praktiziert wurden, oder aber als Leergräber und Seelenkammern im Zusammenhang mit früh- und hochmittelalterlichen Jenseitsvorstellungen.

Es fehlen leider noch ausreichende Befunde, die überprüfbare Schlussfolgerungen im Sinne des einen oder anderen Deutungskonzeptes zulassen könnten. 


Worin bestehen die Aufgaben des Arbeitskreises?

Der Arbeitskreis für Erdstallforschung e.V. widmet sich der Sicherung, Dokumentation und Erforschung von Erdstallanlagen.

Er verfolgt zusammen mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) das Ziel, Erdställe als  Bodendenkmäler - und als solche streng geschützt - für die Nachwelt zu erhalten.

Dem privaten Erdstall-Eigentümer stehen wir als ehrenamtliche Fachgruppe zur Verfügung. Wir führen die archäologischen Grabungen und Dokumentationen nach Vorgaben des BLfD durch und kümmern uns um die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel.

Somit entstehen dem Eigentümer keine Kosten für den Erhalt seines Erdstalles, weder aktuell, noch in der Zukunft, denn auch die Betreuung und Instandhaltung der Anlagen werden von uns übernommen.

Bereits seit 1975 informiert der Arbeitskreis in der Jahresschrift DER ERDSTALL über  Ergebnisse seiner Forschungstätigkeit und veröffentlicht Fachartikel zu verwandten Themenkomplexen.

Die intensive Untersuchung und Sicherung der Anlagen und die Zusammenarbeit mit verschiedenen europäischen Organisationen, Archäologen und Heimatforschern sind ein wichtiger Baustein für die Erdstallforschung. 

Die Erdställe bieten für die Religionswissenschaft, Volkskunde, Geschichte, Naturwissenschaft und Archäologie ein interessantes Betätigungsfeld.