Region 13
Bayerischer Wald, Unterbayern, Oberbayern, Chiemgau

Wackelstein und Steinernes Kirchlein (bei Zenting)
 
Observatorium und Wiege aus Stein im Bayerischen Wald
Heide Göttner-Abendroth

www.goettner-abendroth.de 

Der Text und die Abbildung stammen aus dem Buch

„Mythologische Landschaft Deutschland“, edition amalia, Seite 198-200
mit freundlicher Genehmigung von Heide Göttner-Abendroth
Fotos: Daniela Parr


Im mittleren Bayerischen Wald nahe bei Zenting gibt es ein von Sonntagsausflüglern gern besuchtes, sonderbares Gebilde, „Wackelstein" genannt. Nahebei liegt eine zweite merkwürdige Felsformation, das sog. „Steinerne Kirchlein“. Das trockene, von Kiefernwald bewachsene Gelände, in dem man sich leicht verirren kann, heißt im Volksmund „Zigeunerberg" und ist eine runde Kuppe nahe bei der Saldenburg. Beide Steinformationen werden als Laune der Natur betrachtet, was sie nicht sind. Derartige „Wackelsteine", bei denen ein tonnenschwerer Stein auf winzigem Punkt balanciert, so dass er durch ins Wiegen versetzt werden kann, gibt es an Kultorten in Irland und England ebenfalls. Und das „Steinerne Kirchlein" - schon der verchristlichte Name verweist auf einen alten, „heidnischen" Kultort - hat eine höchst merkwürdige Form, die nicht nur Natur sein kann. Beide Plätze sind naturgewachsene Felsen, die aus kultischen Gründen von Menschen beträchtlich nachgeformt worden sind. Diese sakrale Verwendung von natürlichen Steinen, mit symbolträchtiger Nachbearbeitung ist aus der Megalithkultur vielerorts belegt (in Deutschland z.B. bei den „Externsteinen").

Wir dürfen annehmen, dass alle „Wackel-" oder „Wiegesteine" nachgeformt wurden, um sie in ihr perfektes, schwebendes Gleichgewicht zu versetzen. Der „Wackelstein" im Bayerischen Wald ist ein besonders schönes Exemplar, denn er ist so geglättet worden, dass er von unten wie eine große Wiege aussieht. Und eine Wiege aus Stein ist er tatsächlich, wenn man auf seine Oberfläche hinaufsteigt, sich niederlegt und jemand unten ihn bewegt. Es entsteht ein merkwürdig schwebendes Gefühl, denn die ganze Erde selbst scheint sich unter einem zu wiegen. Das macht ihn zu einem Kultstein ersten Ranges, obwohl wir nicht mehr genau wissen, welche Zeremonien mit diesem Wiegen auf der Erde verbunden waren.

Kaum weniger interessant, ist das so genannte „Steinerne Kirchlein". Es besteht aus einem halbkugelförmigen Dom aus grauem Granit, in der Mitte ist dieser Stein durch eine tiefe Spalte in zwei Teile geteilt. Als ich den Ort mit dem Kompass erforschte, stellte sich heraus, dass die Spalte genau von Südwest nach Nordost verläuft. Das ist eine natürliche Gegebenheit, die den Menschen der Megalithkultur aufgefallen sein musste, denn damit bot sich der Stein als idealer Kompass an. Nordost ist die Himmelsrichtung, in welcher die Sonne zur Sommersonnenwende aufgeht, und Südwest ist jene Richtung, wo sie zur Wintersonnenwende untergeht. Beide Daten markieren zentrale Feste im Jahreszeiten-Kalender der matriarchalen Ackerbaukultur. Bei weiteren Nachforschungen fielen mir noch mehr Merkwürdigkeiten auf: Nähert man sich dem Stein-Dom von Westen durch den Wald, so stößt man auf zwei, innen künstlich geglättete Steine, die ein Aussentor bilden.



Geht man hindurch, so folgt wieder ein Steinpaar als West-Tor. Auf der Nordseite gibt es einen kleinen Platz, und etwas versetzt davon stehen wieder zwei Steine mit innen geglätteten Flächen als Nord-Tor. (Geht man in Richtung Norden nach dem Kompass schnurstracks durch den Wald, so stößt man nach ca. 1 km auf den „Wackelstein".) Im Osten des Platzes gibt es eine Serie von solchen Toren, sie führen von unten den Steilhang hinauf bis an den Stein-Dom heran. Wenn man von unten durch den Wald heraufkommt, erscheinen sie wie eine gigantisch sich übereinander staffelnde Tore-Treppe, und vielleicht war dies der eigentliche, heilige Aufstieg aus dem Tal. Im Süden ist ebenfalls wieder ein Stein-Tor. Die Steine, welche diese Himmelsrichtungen bilden, können teils von Natur aus dagewesen sein, aber in dieser Symmetrie sicherlich nicht alle. Sie sind teils dazugebaut worden, ihre Flächen wurden nach innen perfekt geglättet. Eine dicke Waldhumusschicht wäre zu entfernen, um die Struktur des Ganzen noch deutlicher zu machen. Insgesamt ist diese Steinformation ein Kompass oder Sonnenkalender und hat in jenen Zeiten, als die Kuppen nicht bewaldet waren, mit Sicherheit als Observatorium gedient. Vielleicht haben die „Zigeuner", wer auch immer dies war, noch von diesem Geheimnis der Stätte gewusst.



Der Schalenstein (bei Saldenburg)
Der Thron der Göttin
Heide Göttner-Abendroth

Der Text stammt ebenfalls aus dem Buch
„Mythologische Landschaft Deutschland“, edition amalia, Seite 205-208
mit freundlicher Genehmigung von Heide Göttner-Abendroth
Fotos: Daniela Parr


Zu diesem gigantischen Kultort gehört ein großer Schalenstein, der abgelegen auf der Rückseite des Saldenburg-Hügels gelagert ist. Er ist umgeben von Steintoren, Steingängen und großen Steinrechtecken wie Räumen; für den unkundigen Blick scheint es nur ein Gewirr von Blöcken. Verglichen mit den vielen Schalensteinen in Österreich, der Schweiz und Deutschland ist er einer der größten und imposantesten. Seine Schalen auf der Oberfläche sind äußerst vielfältig und wunderbar geformt. Sie werden hier ebenso fälschlich wie die Wiegesteine für eine Laune der Natur gehalten. Dagegen sprechen alle anderen in Europa weit verbreiteten Schalensteine, die längst als bearbeitete Kultsteine erkannt und gewürdigt werden. So wird übersehen, dass im Bayerischen Wald einer der schönsten Schalensteine überhaupt existiert, der hohen kultischen Rang gehabt haben muss. Die vielfältigen Zeremonien, zu denen seine Schalen dienten, sind jedoch noch zu ahnen, wenn dieser Stein leiblich ausprobiert wird. Denn seine Formen erweisen sich als überaus körpergerecht und sanft, dass man nicht meint, auf Stein zu sitzen oder zu liegen. So hat er in Richtung Osten auf dem höchsten Niveau drei Sitze, geformt wie Sessel, auf denen man thronen und akustisch leicht das auf der gegenüberliegenden Erhöhung stehende Publikum erreichen kann. Ich halte sie daher für den Bereich der Kommunikation und des Segens, womit die drei Priesterinnen der dreifaltigen Göttin des Himmels, der Erde und der Unterwelt, der weißen, roten und schwarzen, mit den Menschen in Kontakt traten.

Die Throne bilden sogar untereinander noch drei verschiedene Höhenstufen. In der Mitte des Steins ist ein breites Bett eingetieft, worin man bequem schlafen kann. Es reicht sogar für zwei aneinanderliegende Personen aus. Neben diesem „Bett" befand sich einst ein „yoni-lingam"-Zeichen, das heißt, auf einem kleinen Plateau stand ein aus zwei Teilen erbauter Menhir wie ein Phallus-Stein, der heute umgestürzt daliegt. Plateau und Menhir bedeuten das weibliche und das männliche Element im Kosmos, und ihrer beider Verbindung ist ein altes Zeichen für die magisch verstandene Heilige Hochzeit zwischen der Priesterin-Königin und ihrem Heroskönig. Deshalb halte ich die mittleren Plätze für den Ort der Zeremonie der Heiligen Hochzeit.

Auf diesen „weißen" und „roten" Bereich auf dem riesigen Schalenstein folgt konsequent der „schwarze“ Bereich, der mit den Riten der Schwarzen Göttin des Todes und der Wiedergeburt zu tun hatte. Denn hinter dem „yoni-lingam-Zeichen liegt ein großes Becken, so groß, dass man darin baden könnte. Und am tiefsten Rand des Steines folgen extrem tief ausgehöhlte Sessel mit hoher Rückenwand und Abflussrinne, die wie Throne für Geburten aussehen. Dass hier Geburten gefeiert wurden, ist durchaus möglich, denn solche Riten gab es noch lange auf den sog. „Chindlisteinen" in der Schweiz, von denen ein ähnlich imposantes Exemplar beim Ort Heiden (!) im Appenzellerland steht. So können durchaus begleitet von den Priesterinnen der Schwarzen Göttin als Hebammen, im Matriarchat hier die besonderen Kinder, die in der Heiligen Hochzeit empfangen wurden geboren worden sein, worauf ein Bad von Mutter und Kind folgte.

Doch nicht nur die Oberfläche dieses Steins ist bemerkenswert, die sich für Zeremonien der großen Feste der matriarchalen Kultur eignet, sondern auch seine Außenseiten. Sie sind perfekt geglättet worden, ähnlich wie beim sog „Wackelstein", so dass dieser mächtige Schalenstein aussieht wie ein Schiff oder wie eine längliche Schale, auf der alle Mysterien des Lebens stattfanden. In diesem war er ebenfalls - wie auch das „Auggenthal" als lilienförmiger Kelch mit den Augen darin - ein Bild des Grales, jener wunderbaren Schale der Großen Göttin. Vom Gral heißt es manchmal, dass er aus einem einzigen Stein geformt war, was dieser großartige Schalenstein durchaus bestätigen würde. Dieser faszinierenden Gralslandschaft im Herzen des Bayerischen Waldes ist zu wünschen, dass sie wiedererkannt, entwaldet und geschützt wird - wie die „Eremitage" bei Arlesheim - um als bedeutendes kulturelles Denkmal einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden.

Heide Göttner-Abendroth