Region 12
Lech, Bodensee, Allgäu
Hegau
Die Große Schale auf dem Berg und der Kult der Neun Jungfrauen von Tengen
von Claudia Schäffer
Die
Rote Hilda saß in ihrem winzigen Stübchen mit den blau
gepunkteten Wänden und der niedrigen Decke aus krummen uralten
Eichenbalken, im hintersten Winkel der Hinteren Burg. Um sie herum
drängten sich neun Mädchen aneinander. Sie trugen alle die weißen
Kleidchen, die sie zu ihrer ersten Weihe bekommen hatten. Mit großen
Augen blickten sie zur Roten Hilda, die in ihrem Schaukelstuhl saß und
sprach: „ Ihr wollt also wissen weshalb ihr zu Neunt auf die Burg zur
kreißenden Gräfin gerufen wurdet und den Rosenkranz beten sollt für eine
gute Geburt. Man hat euch eine wichtige Aufgabe übertragen und ich
bitte euch, legt euer Herzblut hinein! Allerdings hat euch der Herr
Pfarrer nicht erklärt was das Ganze soll. Nun, das konnte er nicht, denn
es ist eine sehr alte Geschichte, aus der Zeit vor der Vertreibung aus
dem Paradies. Ich aber sage euch, ihr seid die letzten zarten Knospen an
dem uralten Baum der Erkenntnis. An dessen Früchten sollt ihr euch nun
laben, damit ihr die Kraft findet für die schwere Aufgabe, die vor euch
liegt und die man euch allzu früh auferlegt hat. Ihr neun Jungfrauen von
Tengen sollt einer Ahnenseele helfen zurück ins Leben zu finden!
Doch zunächst erzähle ich euch die ganze wahre Geschichte:
Die Große Schale
Lange Zeit vor der Vorzeit beschloss die Große Jungfräuliche Göttin eine
Schale zu schmieden, um diese mit einem Kindlisweiher zu füllen, aus
dem das Leben schlüpfen kann. Sie brachte die Elemente des Lebens, das
Feuer aus ihrem Innern und das
Wasser vom
Grund der Erde zusammen. Gewaltig war die Explosion, die diese Synthese
hervorrief. Die Große Jungfräuliche Göttin bebte und in der Erde tat
sich ein rundes Loch auf. Hier hieß Sie die Wasserschlange und den
Feuerdrachen Hochzeit halten. Eine heiße Quelle, angereichert mit allen
nötigen Mineralien, ergoss sich in das

schwarze Loch und füllte alsbald die ganze Untere
Schale aus. Nun erging es der göttlichen Jungfrau wie jeder Hausfrau, es lagerte sich an ihrem
Kessel ein
Kalkrand an. Doch bei ihr drehte sich die Zeit endlos von Mondwende zu
Mondwende und dabei setzte sich eine Kalkschicht auf die Andere.
Schließlich sollte die kreisrunde
Wanne aus Sinterkalk zwanzig Meter mächtig werden, vollgefüllt mit dampfenden Thermalwasser . Welch Wonne-Wanne für Göttinnen!
Bei dieser Gestaltung ließ es die göttliche Jungfrau aber nicht beenden,
sondern begann sich der weiten Umgebung ihrer Wunder-Samen Schale
zuzuwenden. Im Osten ließ sie rund sieben Vulkane nach Ihrem Bilde aus
der Erde sprießen, darunter einen Dreifachen. Die Bedeutung des heißen
Kessels, als Mitte und Mittel (-Punkt) im Mysterium des Lebens,
unterstrich Sie im Süden mit ihrer geliebten langen
Alpenkette .
Einen jeden Berg hatte Sie mit Hingabe fein ausmodelliert . Auf der Höhe
ihrer Schale fädelte die göttliche Jungfrau auf ihre Alpenkette einen
dreigipfligen Berg ein. Dessen östlicher Gipfel erhielt einen riesigen
Ringwall, damit niemand ihren Kessel des Lebens gegenüber der großen
Ebene übersehen konnte. Der gekrönte Berg wurde später selbst zum Bild
der Großen Göttin und erhielt irgendwann den Namen und die Legende vom
„Vrenelis Gärtli“. Von West bis Nord vollendete Sie später ihren bergigen Kreis rund um die Große Schale mit den sieben
Randen.
Mit aphrodisischer Wonne genoss die jungfräuliche Göttin die heißen
Bäder in ihrer runden Wanne, mit Blick nach Südost, auf ihre strahlende
Alpenkette. Dabei hatte sie eines sonnigen Tages eine geniale Idee.
Diese wunderbare Aussicht beim Bade wäre noch zu steigern, wenn die
Weite vor den Bergen ein funkel-blaues
Meer wär. Gedacht war

getan,
wie bei Göttern so üblich. Die Jungfrau flutete die ganze Ebene entlang
der Alpenkette mit süßestem Wasser aus dem Quell Ihres Schosses. Ihre
heilige Schale lag nunmehr mittig am nördlichen Ufer dieser
langgestreckten glitzernden See. In dem klaren Gewässer tummelte sich
alsbald mannigfaltiges Getier, das dem Quell-Topf des Lebens entstiegen
war. Von all den wundersamen Wasserwesen liebte die göttliche Jungfrau
am meisten die
Muscheln und Schnecken. Da diese Liebe auf
Gegenseitigkeit beruhte, zog es alle Schalentiere aus der langen See hin
zur heiligen Schale der göttlichen Jungfrau. Viele Jahrtausende währte
der Schnecken-Tanz in der Brandung zu Ihren Füssen. Alle Muscheln,
Austern und Schnecken brachten ihre
Schalen-Körper dar, damit die Große Göttin ein einzigartiges Felsenmonument daraus errichten konnte.

Millionen Mondwenden später hatte sich die Jungfrau wiederum gewandelt
und war nun in glitzer-weißem Eis gewandet. Die ganze Welt, Ihre
Alpenkette und die Ebene mit dem einstigen Meer bedeckte Sie mit Ihrem
kalten Schneemantel. Einzig aus ihrer Schale dampfte weiter das heiße
Wasser und erinnerte an die lustvoll- muschelige Zeit der Jungfrau. Nun
wollte sie der Eises Starre zum Trotz, aus ihrer heißen Quell-Schale
heraus, zur Mutter werden. Die schönsten Schnee-Kristalle sammelte Sie
und übergab sie dem Kessel. Mit machtvoll kreißender Bewegung rührte die
jungfräuliche Mutter die tiefgekühlten Seelen ins heiße Mineral-Wasser.
Unter

gewaltigem Zischen gingen Heiß und Eis eine Wunder-Same Bindung ein. Die runde Wanne der Göttin transformierte zum
„Kindlisweiher“.
Diesem entschlüpften die ersten Menschenkinder. Die junge Mutter liebte
und lehrte sie, das Wunder des Lebens zu begreifen . Das Eis-Kleid
hatte ausgedient und die Göttin streifte es Schicht um Schicht ab. Dabei
schleifte sie zur Erinnerung ihr Abbild tief in den Boden,
Schmelzwasser floss hinein und es entstand im Osten der heiligen Schale
der
„Bodensee“. Aus dem Land dazwischen traten beim Auszug des
Eises die (k)alten Vulkanschlote hervor. Auch diese Berge modellierte
sie nach ihrem eigenem Bilde, um ihren geliebten Menschenkindern das
Begreifen noch greifbarer zu machen. So hatte fortan eine jede Sippe für
ihre Ahnenseelen einen Leib der göttlichen Mutter zur Verfügung. Und
siehe da, die Menschen begriffen die Wirk-lichkeit!
Jeden Tag erzählte die
Sonne den Menschen im Sonnenaufgang, zu Mittag und im Sonnenuntergang vom Werden, vom Sein und vom Vergehen allen Lebens. Der
Mond bestätigte
des Nachts diese dreifaltige Lehre, denn jeden Monat nahm er zu, wurde
voll und nahm wieder ab. Der Neumond aber erzählte von Tod und
Wiedergeburt. Je mehr die Menschen
das dreifache Prinzip des
Lebens begriffen hatten, desto sehnlicher suchten sie auch die Göttin in
ihrer dreifachen Gestalt . Die Große Mutter freute sich sehr über das
kluge
Beten ihrer Menschenkinder, hatte sie einst doch extra
dafür den Bergkreis rund um ihre Große Schale angelegt. Als das Eis
schließlich ganz verschwunden war, lag die runde
Wanne der Göttin mit ihrem
Kindlisweiher darin oben auf dem
Berg, als Zeugnis ihrer Macht und Fraulichkeit.
Die jungfräuliche Muttergöttin liebte ihre Menschenkinder und beschenkte
sie vertrauensvoll mit ihrem freien Willen. Zum Zeugnis von Werden und
Willen nahm sie als Willbeth den Bergrücken genau im Osten des
Wannenberges als
Willberg in Be(then)-Sitz. „Es will Licht
werden“ sprach sie und erneuerte mit jedem Sonnenaufgang diesen Bund.
Auf dem hohen Berg im Westen verpflichtete Sie im Gegenzug die Menschen
zur Wahrheit und ließ sich als Worbeth nieder. „ So wahr wie jeden Abend
die Sonne hinter dem
Worberg versinkt“, sch
woren die Menschen „ so wahrhaftig sind auch wir.“ Sie beteten zu den Bethen:“ All-es will gut werden, all-es war wahr.“
Die
Drei Bethen führten die Menschen von Sonnenauf- bis -untergang durch den Tag und durch die
13 vollen Monde im Jahreskreis. Von den Höhen der Drei-Bethen- Berge
erkannten die Menschen den Pendel-Rhythmus der Zeit, anhand der
9-jährigen Wanderschaft des Mondes bis zum Wendepunkt. Unterwiesen wurde das Volk am Fuß des Wannenberges von
Neun Jungfrauen.
Sie tanzten auf den drei Wegen von Werden, Sein und Vergehen und
sorgten für den Gleichklang von menschlichem und göttlichem Willen,
Wahrheit und Lebenslust.
Die Neun Jungfrauen feierten die Sonnen- und Mondrituale im
Jahreskreis auf den Hügeln rund um den Heiligen Berg mit der Großen Schale obenauf. Sie zogen aus der Schale mit dem
Kindlisweiher die verjüngten Ahnenseelen der Neugeborenen . Jedes Jahr beim Großen Thing an der
Linde nahe
des Wannenberges trafen sich die Völker der milden Höhen und der rauen
Ebene um ihren Friedensbund zu erneuern. Stets vollzog die neunte
Jungfrau in der Großen Schale auf der Höhe die heilige Hochzeit mit dem
Berchthold von der Baar. Den Rest des Jahres Blickte er voll Sehnsucht
nach Südost zu ihr.
Die Jungfrau aber saß derweil auf den Muschelfelsen und herzte das
Einhorn. Schon als Zicklein hatten die
Neun Jungfrauen ihm die beiden gedrehten Hörner zu Einem zusammen gebunden, als Zeichen
ihrer Bindung zu den drei Bethen. Die drei göttlichen Jungfrauen
erfreuten sich an dem reinen Liebreiz des Einhorns sehr. Es kam sie oft
in den Wäldern auf den Bergen besuchen und liebte es seinen gehörnten
Kopf in Ihren Schoß zu legen. Die drei edlen

Schwestern
schenkten die Berg-Wälder den Menschen, so dass auch diese dem Glück
des Einhorns teilhaftig wurden. Das Einhorn liebte es auch durch die
Schluchten und hinter den funkel-tröpfel tosenden Wasserfall zu
klettern. Oberhalb davon, auf dem langen Felssporn den die Große
Jungfrau einst aus Muscheln, Austern und Schnecken errichtet hatte,
stand es oft auf dem Großen
Felsen und zeigte sein Horn- voll- Liebe zur Großen Schale auf dem Berg der Bethen.“
„Wo ist das Einhorn jetzt?“ fragte aufgeregt die Jüngste der neun
Mädchen. „Ich habe es schon oft gesehen“, erwiderte cool die Älteste.
Alle starrten sie mit offenen Mündern an. „Überm Stadttor eingemeißelt,
in den Brunnenrand gegossen, auf Fensterläden gemalt…:-)“ prustete sie
nun los.
Die Rote Hilda wippte schmunzelnd im Schaukelstuhl: „
Wahrlich so ist es. In Tengen ist das Einhorn und auch die Neun
Jungfrauen noch immer zu entdecken. Zu jeder Zeit können die Drei-
Bethen-Berge bestiegen, die Muschel-Felsen befühlt, die Wasserfälle
bestaunt und selbst die Große Schale der Göttin besucht werden.“
Anmerkung:
Natürlich treffen noch immer alle Aussagen der Roten Hilda zu. In den
letzten hundert Jahren ist aber leider auch vieles vergessen oder
zerstört worden. Heute gibt es keine lebendige „Jungfrauen-Kongregation“
mehr in Tengen. Die Muschelfelsen und die Große Schale auf dem
Wannenberg sind durch Steinbrüche schwer geschändet worden. Dem 800 m
hohen Worberg hat man eine Handy-Masten-Krone aufgesetzt. Doch die im
Anbeginn wurzelnde Geschichte der Göttin kann so schnell nicht getilgt
werden. Die tausendjährige Linde hat allen Stürmen getrotzt und man
pflanzte zu ihr eine Junge. Die drei Bethen sind beinahe vergessen, aber
ihre Namen blieben in den Bergen erhalten. Die Symbole ihrer Töchter
C+M+B sind auf bzw. unterhalb des Muschel-Felssporns heute dicht
beieinander eindrucksvoll repräsentiert:
Die teilzerstörte große Schale auf dem Wannenberg wurde gnädig unter
einem Waldring verschleiert. Die fantastische Aussicht auf die
Hegau-Vulkane und die Alpenkette von den drei Bethen-Bergen aus ist
ungebrochen:
(rechts „d’Willbeth“, Hohenstoffel vor Säntis, links Hohentwiel)
Ich betreibe seit Jahren landschafts- und kulturmythologische
Forschung auf den Spuren der Göttin im Hegau. Dabei

entdeckte
ich nahe meines Wohnortes Tengen, den großen Jahreskreis-Kalender, rund
um die gewaltige Sinterkalk-Schale, mit dem ehemaligen „Kindlisweiher“ ,
auf dem Mittleren, der in exakter Ost-West-Richtung gelegenen drei
Bethen-Bergen.

Bei einer 2-4 Stündigen
Führung (ca. 10€ Obolus, Anmeld.:07736-921226;
claudiaufderburg@gmx.de)
zu den mystischen Plätzen erzähle ich, was es mit den 9 Jungfrauen und
dem Einhorn in Tengen auf sich hat und wie sich hier die urzeitlichen
Meeresschnecken durch Raum und Zeit bewegen. Zu erfahren ist auch, wie
die Geschichte in der über 600 Jahre aus drei Teilen bestehenden und
einst kleinsten Stadt im Deutschen Reich

weiterging. U.v.m.
An einem heißen Sommertag ist die Dusche unterm nahen Wasserfall eine be-rauschende Lust.

Zwischen
Neun Jahrhunderte alten Burg-Mauern, in dem einst blaugetüpfelten
Stübchen der Roten Hilda (vor über hundert Jahren soll sie hier gewohnt
haben), ist jetzt mein Göttin-
Figurinen-Atelier eingerichtet. Ein
(leider nicht aktueller) Ausschnitt meiner keramischen Gestaltung der
Göttin mit den Tausend Namen ist im Netz zu finden:

Ich lade gerne zur Besichtigung im Internet und in der Hinterburg ein!
Claudia Regina Erna Schäffer
Führung
ca. 10€ Obolus
Anmeldung:07736-921226
claudiaufderburg@gmx.de