Region 12
Lech, Bodensee, Allgäu

Der Säuling
Berg zwischen den Welten
Elisabeth Wintergerst

www.saeuling.com
www.mythologie-atlas.de

Die Textauszüge stammen aus dem Buch "Der Säuling - Berg zwischen den Welten".

Der heilige Berg Säuling

Der Säuling hat eine markante Form, wodurch er sich von den Bergen der Umgebung deutlich unterscheidet. Nach Norden, wie er sich dem Füssener Land zeigt, hat er einen abgerundeten Doppelgipfel, der an zwei weibliche Busen erinnert. Aus größerer Entfernung wird er als Pyramide wahrgenommen. Auf seiner Südseite bildet er aus Blickrichtung Oberpinswang zusammen mit dem Pilgerschrofen einen dreigipfeligen Berg. Dies prädestiniert ihn als Sitz einer Trinität. Diese Zeichen mögen für die ursprüngliche Bevölkerung entscheidend gewesen sein, im Säuling einen heiligen Berg zu erkennen.

Der Name Säuling leitet sich von dem althochdeutschen sul siule = Säule ab. Eine weitere Erklärung des Namens ist die Ableitung von Sieling = (keltisch) Himmel. Diese zweite Theorie favorisiert der Füssener Heimatforscher Magnus Peresson. Er stolperte bei der Deutung Säuling = Säule = siul immer über den Artikel. Es heißt DER Säuling, aber DIE Säule. Er sieht keinen Grund für einen Wechsel des Geschlechts.

Peresson favorisiert deswegen folgende Namensdeutung: DER Säuling abgeleitet von DER Sieling (keltisch) mit der Bedeutung von Himmel (le ciel, franz.), Zimmerdecke (ceiling, engl.).

Zu der Bedeutung, dass der Säuling ein schamanischer Berg ist und ein Tor in den „Himmel" bzw. eine andere Wirklichkeitsebene ist, passt das ebenso.

Möglicherweise haben die Worte Siule (Säule) und Sieling (Himmel) auch eine gemeinsame alte Wortwurzel, die beide Bedeutungen als Varianten in sich trägt.

Wortverwandtschaften

Vermutlich gibt es eine Wortverwandtschaft der Bergnamen.

S Äu L I N g
S E L U N (der heilige Berg im Toggenburg, Ostschweiz)
S Imi LAu N (der heilige Berg von Tirol)

Vielleicht steckt doch in dem Namen Säuling (älteste Bezeichnung Siulinch) mehr als nur das althochdeutsche Wort sul, siule (Säule). Die Vorstellung, den Säuling als Säule und Träger des Himmels zu sehen, kann man gut nachvollziehen. Dennoch könnte sich in dem Namen auch ein altes Zauberwort für Verwandlung und Öffnung verbergen.

„Sim S A La bI M" sagt man, wenn sich etwas verwandeln soll.
„S E S A M öffne dich!" muss Aladin rufen, damit der Berg sich öffnet und der Weg zur Schatzkammer frei wird.


Göttin Holla am Säuling

Von der Frau Holle oder Holla ist allgemein nur das Märchen der Gebrüder Grimm bekannt. Darin ist die Göttin reduziert auf eine Wettermacherin und Schützerin von Tugenden wie Fleiß und Hilfsbereitschaft. Den Weg zu ihrem Reich findet Goldmarie, indem sie in einen Brunnen springt. Darin finden sich die Spuren eines Initiationsrituals, wie es auch in örtlichen Sagen von Wassermännern (Fischmarie vom Hopfensee oder Wassermann vom Weißensee) angedeutet ist. Im 19. Jahrhundert war das Wesen der Holla als Göttin kaum noch spürbar. Sie ist nur noch eine Märchenfigur, die Schneefall bewirkt, wenn sie ihre Betten ausschüttelt.

Wie bei allen großen Muttergöttinnen reichen die Wurzeln der Holla jedoch bis in die Jungsteinzeit zurück. Sie ist in ihrer Fülle und Mythologie den bekannten Göttinnen Isis oder Rhea vergleichbar.

Oftmals hat die Holla ihren Sitz auf einem Berg. Der bekannteste Kultberg der Holla ist der Hohe Meißner bei Kassel in Hessen. Der Berg als Wesen ist die Verbindung zwischen Himmel, Erde und Unterwelt. Und die Holle wird als Herrin dieser Welten gesehen. Sie ist Himmelsgöttin als Wettermacherin - Erdgöttin, welche Fruchtbarkeit schenkt - und Hüterin von Seelen und Ahnen in der Unterwelt.

Der Holla sind viele Tiere und Pflanzen heilig, etwa der Holderbusch (Holunder) oder der Storch als Seelenvogel und Kinderbringer. Alle Pflanzen, deren Namen mit „Frauen-" beginnt, wie Frauenschuh oder Frauenmantel weisen unmittelbar auf die Göttin hin. Denn „Frau" bedeutet „Herrin", während ansonsten das Wort „Weib" für gewöhnliche weibliche Wesen in Gebrauch war.

Die kleine Sage vom „Jäger am Säuling" gibt einen Hinweis darauf, dass der Säuling als Sitz der Göttin Holla gesehen wurde.

Der Jäger am Säuling

Als einmal am Säuling in einem Heustadel ein Jäger, der vom Abend überrascht worden war, übernacht blieb, kam ein fürchterliches Gewitter herangezogen, dass er glaubte, der jüngste Tag erscheine. Auf einmal hörte er hoch über dem Stadel eine gellende Weiberstimme rufen: „Holla! warum lässt du denn nicht fallen?" worauf eine andere Stimme von der Säulingspitze antwortete: „Ich kann nicht, der Breitewanger Stier brüllt!" In Breitenwang hatte man aber die Wetterglocke geläutet. (Karl Reiser)

Die Holla erscheint in dieser Sage als Wettermacherin. Die Göttin wird von einer gellenden Weiberstimme gerufen. Aber ihre Kraft ist bereits durch das Christentum gebrochen, das durch die Wetterglocke (der Stier) von Breitenwang repräsentiert ist.

Der Jäger in der Sage wird wegen seiner grünen Tracht wohl ursprünglich den „Grünen Mann" verkörpert haben. Mit dem „Grünen Mann" ist oftmals ein Jahreskönig oder Vegetationsheros gemeint. Er ist der männliche Partner der Göttin und schenkt mit der Göttin zusammen dem Land die Fruchtbarkeit. In der konkreten Sage vom „Jäger am Säuling" ist er jedoch nicht mehr derjenige, der sich in der Nacht mit der Göttin auf ihrem heiligen Berg Säuling vereint. Sondern er ist ein furchtvoller Mann, der vor einem Unwetter im Heustadel Unterschlupf für die Nacht findet. Die Göttin Holla selbst ist nicht mehr Schöpferin, sondern wird bereits für einen Dämon gehalten, den es durch Glockengeläut zu verjagen gilt.

Noch ein weiteres Mal erscheint die Göttin Holla namentlich im Umkreis des Säulings: In der am Fuß des Säuling gelegenen Gemeinde Pinswang wird am 28. Dezember der Brauch des Holla-Schreiens gepflegt.

Das Hollaschreien

Das Hollaschreien wird in Pinswang am 28. Dezember, dem Tag der „Unschuldigen Kinder“, durchgeführt. In Unterpinswang wird gerufen: "Holla, holla, Bierezelte, siaß oder sau’r, raus mit’m Bauer! Holla, Holla…"

In Oberpinswang wird gerufen: "Holla, holla, Bierezelte hea, sei a siaß oder reaß!"

Die Holla wird in Tirol auch Perchta (von perata = strahlend), Königin Berta bzw. Stampe (von stampfend gehen) genannt. In vielen Zügen gleicht sie der Holda, deren Gestalt ebenso wandel- wie wunderbar ist. „Hold" weist auf die milde Seite der Göttin hin. In anderem erinnert sie aber auch an die Hel, die Fürstin des Totenreiches. Die Worte Höhle, Halle, Hölle sind mit dem Namen Holla verwandt.

Auch der Gruß „Hallo!" war ursprünglich ein Ruf, an die Göttin gewandt, vergleichbar dem „Grüß Gott!". Selbst das „hollarei ....." in den Jodlern lässt sich als Segensformel auf die Holla zurückführen.

Die Holla ist die Königin der ungetauften verstorbenen Kinder, deren Seelen-Zug sie anführt.

Der Holla waren früher die 12 „Weihenächte" oder „Mutternächte" zwischen Weihnachten und dem 6. Januar heilig. Tiere können hier sprechen, die Zeit wird durchlässig und Vorahnungen auf das kommende Jahr sind spürbar. Es handelt sich um eine Stimmung, in der die Verwandlung und die Wiedergeburt des Lichtes gefeiert wurde. In diesen besonderen Nächten, auch Raunächte genannt, zieht die Holla als „Mutter der Seelen" umher und hat in ihrem Gefolge Seelchen, die eine neue Menschenmutter suchen.

Jodeln - Anrufung der Holla

Die Übersetzung des englischen Wortes „incantation", wörtlich „Einsingung", bedeutet Verzauberung. Das Singen ist eine herausgehobene Ebene gegenüber dem Sprechen. Es wird davon ausgegangen, dass etwa die Druiden ihr Wissen hauptsächlich in Gesängen und Reimen weitergegeben haben. Singen hat eine magische und mitreißende Kraft. Es erzeugt Gefühle und Stimmungen, die ohne Gesang nicht denkbar wären. Eine weitere Steigerung des Singens ist das Jodeln. Es wird nicht von Gruppen, sondern nur von wenigen praktiziert. Jodeln geschieht, in dem schnell zwischen Kopf- und Bruststimme gewechselt wird und dabei große Ton-Intervalle übersprungen werden. Im Sänger und im Zuhörer erschafft es eine Trance.

Jodeln ist damit im Bereich des Singens ein ständiger Ebenenwechsel. Es ist eine Abbildungsebene für den Sprung des Schamanen von einer Wirklichkeitsebene in eine andere. Dass jeder klassische Jodler mit einem „Holla ....." beginnt, wird heute gedankenlos hingenommen. Es ist niemand mehr bewusst, dass darin die Muttergöttin als Göttin Holla angerufen wurde.

In frühesten schriftlichen Überlieferungen, z. B. Heiligenlegenden am Anfang des Mittelalters aus Südtirol, wird von einem „infernalischen Geschrei" der Hirten in den Alpen berichtet. Es liegt mehr als nahe, dass damit die Jodler gemeint waren. In manchen Sagen wird der Teufel durch einen „Juchzer" gerufen. Darin spiegelt sich die magische Bedeutung des Jodelns.

Wäre es nicht eine erfreuliche kulturelle Bereicherung, wenn über den Alpsee und an den Hängen des Säulings nicht nur für Touristen, sondern aus einem inneren Bezug zum Berg wieder gejodelt würde? Oder am Abend über den Almen ein Alpsegen erklingen würde?

Hexenplatz auf dem Säuling

Auf dem Säuling bei Füssen kamen ehedem in gewissen Nächten die Hexen aus der ganzen Umgebung zusammen, hielten ihre Tänze und üppigen Gelage ab und huldigten ihrem Oberen, der in ihrer Mitte saß. Trafen sie auf ihrer Fahrt jemanden, der nicht gut gesegnet war, auf offenem Felde, so erfassten sie ihn und schleppten ihn in den Lüften mit fort bis auf die Bergesspitze. Die meisten wurden von diesem Schicksal erreicht auf der Strecke zwischen Reutte und Mühl, an der Stelle, wo jetzt ein Feldkreuz steht, und wo sich die Wege kreuzen. Hier hatten nämlich die Hexen eine „Fahrt" durch und hörte man das „Hexenspiel" häufig durchziehen. Am schlimmsten machten es die Hexen einmal einem Pflacher, namens Trentini der freilich auch ein gar jähzorniger Mann war und die Untugend hatte, bei jeder kleinen Verdrießlichkeit schrecklich zu schwören und zu fluchen.

Dieser Trentini lag einmal abends spät im Bett, als ihn das Klingeln zahlreicher Geißglocken vor dem Fenster und der Tür aufweckte.

Da dachte er nicht anders, als all seine Geißen seien los geworden und aus dem Stalle, der vielleicht aus Fahrlässigkeit offen geblieben, entkommen. Schnell sprang er auf, kleidete sich nur wenig an und eilte hinaus, um sich ins Mittel zu legen. Doch kaum hatte er des Hauses Schwelle überschritten, so fuhr eine Schar Hexen auf ihn ein, riss ihn mit sich fort in ungeheurer Schnelle in eine tiefe Wildnis, wo ein Feuer flammte. Nach eigener Aussage hatten sie ihm ein Halfter um den Kopf geworfen und ihn an demselben fortgezerrt. An dem Feuer beschlugen sie ihm nun die Hände und Füße mit Hufeisen, legten ihm einen Pferdezügel an, setzten sich auf ihn, peitschten ihn und von einer unerklärlichen Macht getrieben gewann er so viel Kraft, seine Reiterinnen alle bis auf die Spitze des Säulings zu tragen.

Ganz erschöpft von diesem Hexenritt ward er nun wie ein Ross an einen Pfahl gebunden, und nun musste er mit ansehen, welch wüstes Gelage und welch scheußliche Tänze auf dieser Höhe stattfanden. Es waren lauter Teufel da, die mit den Hexen tanzten, schmausten und zechten, und als der Spuk vorüber war, musste er wieder Pferd sein und nicht minder schnell abwärts rennen, als er aufwärts gerannt war.

Noch war aber Pflach nicht erreicht, da begann von der Glocke zu Breitenwang das erste Gebetläuten. Hui! fuhren die Hexen zeternd davon; dem Benedikt fielen aber die Hufeisen von den Händen und Füssen ab und auf einmal lag er vor seiner Haustürschwelle, hingedrückt durch Hexenzauber. Darauf wurde er lange Zeit krank und hatte seitdem ein närrisches Wesen angenommen, ritt über die steilsten Steingerölle und Steinrutschen mit größter Leichtigkeit, wobei er sich rittlings auf seinen Stock setzte und davon raste, besonders dann, wenn er etwas eingeschmuggelt hatte und die Grenzjäger ihm auf der Ferse waren. War er vor ihnen in besonderer Not, so setzte er sich auf seinen Stock und ritt auf demselben über Berg und Tal auf und davon. Wegen seiner Erlebnisse auf dem Säuling nannte man ihn allgemein das „Hexenross".
(von Alpenburg, Reiser)

Die Sage stellt den Säuling als zentralen Versammlungsplatz der Hexen und Teufel in der ganzen Gegend dar.

„Anfällig" für die Säulinghexen waren Menschen, die „nicht gut gesegnet" waren. Dies waren etwa ungetaufte Kinder, nicht ausgesegnete Wöchnerinnen und Menschen, die das Gebot am Sonntag den Gottesdienst zu besuchen nicht einhielten.

Die „Fahrt" erinnert an die „Wilde Fahrt". Diese ist ein Zug von Geistwesen. Oft steckt darin die Erinnerung an alte vorchristliche Prozessionswege. Das Wort Fahrt leitet sich von dem mittelalterlichen „faran" ab und hatte früher die Bedeutung von „gehen." So wie an anderen Orten auch kündigt sich die „Fahrt" durch Klingeln, helle Glocken oder Musik an.

In der Sage des Hexenreiters denkt der Benedikt Trentini, seine Geißen seien aus dem Stall ausgebrochen. Als er die Türschwelle überschreitet, verlässt er den magischen Schutzkreis seines Hauses und wird von den Hexen fortgerissen. 

Benedikt Trentini ist nach dem Füssener Heimatforscher Magnus Peresson eine historisch belegte Person, zu der sich Einträge in den Kirchenbüchern von Pflach finden. In vielen Tiroler Sagen werden konkrete Personen und Jahreszahlen genannt. Diese dienen nicht so sehr der zeitlichen Einordnung, sondern um die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit der Überlieferung zu bekräftigen.

Sodann wird Trentini zu einem Feuerplatz im Wald gebracht. Dort wird er einem Verwandlungszauber unterworfen. Seine Wahrnehmung ist nunmehr die Wahrnehmung eines Pferdes, das die Hexen auf den Säuling trägt. Solche Eindrücke werden etwa durch die Einnahme bewusstseinsverändernder Rauschmittel verursacht. Bereits auf den Höhlenmalereien der Steinzeit ist die Verwandlung von Menschen in Tiere, z.B. Hirsche oder Rentiere dargestellt.

Neben der Säulingwiese gibt es eine Mulde, die Hexenbödele genannt wird. Die Fläche ist groß und eben genug, um darauf die beschriebenen Tänze und Gelage durchzuführen. Das Hexenritual wird als wild, ausgelassen und üppig beschrieben.

Wie in der Sage Holla am Säuling (Jäger am Säuling) ist es die Glocke von Breitenwang, welche die Macht der Hexen bricht. Als die Kirchenglocke erschallt, zerstreuen sich die Hexen und Benedikt Trentini liegt wieder an dem Ort, von dem er entführt wurde - seiner Türschwelle.

Wie andere Menschen auch, war Benedikt Trentini lebenslang von seinen übersinnlichen Erlebnissen geprägt und hat die Fähigkeit des leichtfüßigen Rennens über steile Hänge behalten.


Tanzplatz des Dummaheeres

Die Menschen fürchteten sich in Füssen vor dem Dummaheer besonders dann, wenn dieses aus den Bergen des Lechtals von Süden her kam und nach Norden brauste. Kam es von Norden, oder zog das Dummavolk gar von Ost nach West, dann war es gut aufgelegt und machte oft sogar eine so wundersam betörende Musik, dass die Menschen sangesfreudig und verliebt wurden. Kam es aber „mit dem Lech" dann verriegelte man Fensterläden und Türen dreifach; man stellte den Hackstock mit dem Beil darin neben die Haustür. Lag das Beil am Morgen neben dem Türstock, dann wusste man, dass einer vom Dummaheer versucht hatte, ins Haus einzudringen. Darum sprach man in der Stube besondere Gebete, die alle an den heiligen Magnus als den besonderen Beschützer der ganzen Gegend gerichtet waren. Die Hexentänze auf dem Säuling und dem Tegelberg hat man als Ausgelassenheit des Dummaheeres angesehen.
(Endrös/Weitnauer)

Der Name „Dumma" leitet sich von dumm, blöd ab und hat in diesem Zusammenhang die Bedeutung von wahnsinnig und wild.

Die Sagen von der wilden Jagd oder dem Nachtvolk gelten als vorgermanisch, obwohl in späteren Zeiten oftmals germanische Göttinnen und Götter als Heerführer genannt werden, wie Wotan, Odin, die Hel oder die Holla. Im Alpenraum wird das Wilde Heer oft von der Percht angeführt. Der Name Percht kommt wahrscheinlich von perata = strahlend.

Sagen vom Nachtvolk gibt es in ganz Europa. Das Phänomen, das regional deutlich verschiedene Ausprägungen hat, ist in Skandinavien als Odensjagd bekannt und hier eng mit der Julzeit (Wintersonnwende) verbunden. In England wird der Zug „the Wild Hunt" genannt, in Frankreich Mesnie Hellequin, chasse fantastique, chasse aérienne, chasse sauvage. Im Wallis heißt es Grat-Zug.

Die Zeiten, in denen die Muetes, das wilde Heer oder auch Dummaheer besonders oft gesehen werden, sind um Martini (11. November), zwischen dem Barbara-Tag und Maria Empfängnis (4. - 8. Dezember) und die Zeit der zwölf heiligen Nächte nach Weihnachten bis zum Drei-Königs-Tag. Dann brausen Stürme, die in den dunklen Winternächten mit ihrem Wutgeheul Haus und Bewohner erzittern lassen. Sie verdichteten sich im Glauben der Ahnen zum wütenden Heer, das bei uns noch als Wuetes oder Muetes bezeichnet wird. Der Name Muetes ist im ganzen alemannischen Sprachraum verbreitet.

Mit dem Wind- und Seelengott Wode, der oftmals in späterer Zeit die Göttin Holla vertritt, fährt das Heer der abgeschiedenen Seelen das Volk der Verstorbenen durch die Lüfte. Und wenn der niederdeutsche Bauer sagt: „Der Wuode jagt, meint der Gebirgler unserer Heimat. ,,Das ist's Wuetes!" Wie innig die Vorstellungen von Wuotes Heer in unserem Volke den Lauf der Jahrhunderte überdauerten, erzählen viele Sagen und Bräuche. Immer werden dadurch mythologisch bedeutsame Orte bezeichnet oder es ist die Erinnerung an vorchristliche Prozessionswege.


Unterirdischer Gang zwischen Auerberg und Säuling

In Bidingen hieß es einst, der Auerberg sei der Mittelpunkt eines ganzen Netzes von unterirdischen Gängen, die vom Gipfel des Auerbergs unter anderem auch zum Gipfel des Säulings und Peißenbergs gegangen seien. In diesem Labyrinth aber finden sich nur die "Welschen" also die Venediger zurecht. Gerät ein gewöhnlicher Mensch hinein, wird er vom strahlenden Goldglanz der Wände auf der Stelle blind.

Im Gang nach dem Auerberggipfel reitet ein verwunschener Ritter in goldener Rüstung ewig hin und her. Es ist der letzte Überlebende der großen Schlacht. Er hat das Gold, das die kämpfenden Heere mit sich führten, den Venedigern ausgeliefert. Die unbekannten Gegner haben sich in jener großen Schlacht auf dem Auerberg bis auf diesen einzigen goldenen Ritter gegenseitig vernichtet. In dieser gleichen Schlacht soll eine Heidenkirche zerstört worden sein.
(Endrös/Weitnauer)

Im ganzen Allgäu ist es allein der Auerberg, der sich an Sagenhaftigkeit mit dem Säuling vergleichen kann.

Der Auerberg ragte in der letzten Eiszeit wie eine Insel aus dem Eispanzer des Alpenvorlandes heraus und war ein wichtiger Orientierungs- und Rastplatz der einheimischen Jäger- und Sammlerkultur. Eine Bodenkultivierung ist seit der Jungsteinzeit durch Pollenuntersuchungen belegt.

Unterirdische goldene Gänge in der Sage deuten auf einen vorgeschichtlichen Bergbau und auf den (vielleicht spirituell zu verstehenden) Reichtum einer untergegangenen Kultur hin.

Auf dem Gipfel des Auerbergs steht jetzt eine Georgskirche. St. Georg gilt als christlicher Erbe der Licht-, Sonnen- und Fruchtbarkeitsgottheit weiblich Belisama und männlich Belenus genannt. Der unterirdische Verbindungsgang, der zum Säuling führt, durfte als innerliche Verbindung zwischen zwei bedeutenden Kultplätzen zu verstehen sein. Mit der „zerstörten Heidenkirche" wird ein Tempel dieser Gottheit gemeint sein.

Der Auerberg ist von einer großen Wallanlage umgeben, die jedoch eher die Grenze eines heiligen Bezirkes als eine Befestigungsanlage darstellt.

Elisabeth Wintergerst