Region 11
Fichtelgebirge, Franken, Altmühltal

Taubertal

Der Pfeiffer und Frau Holle
Claudia Lodders

* der gesamte Text ist von der Autorin in Kleinschreibung verfasst

Matriarchale widerstandsbewegung im taubertal

Im jahre 1476 gab es „ein großes laufen“ ins taubertal nach niklashausen. Ein junger mann, hans beheim, hatte eine erscheinung unserer lieben frau, die ihm sozialrevolutionäre thesen eingegeben hatte: die fische im wasser, die tiere und das holz im walde sind gemeingut, alle menschen sind brüder und schwestern, es gibt kein fegefeuer. Ablass von euren sünden kann auch ich euch geben, die priester reden nicht richtig, so predigte er.

 Und während ich heute diverse schriften zu diesem thema lese, schiebt sich mir die göttin holle vor meine inneren bilder.

Keinen steinwurf weit vom dorf niklashausen, in dem hans beheim seine widerstandsreden ausrief, erhebt sich der knollenberg, ein alter verehrungsberg der frau holle. Hier gibt es viele geschichten und sagen über begegnungen mit der hilfreichen oder über betrug zürnenden hullenfrau (lehrer adam deufel 1896). Einen frawen-hullen-baum, der 1793 kartogaphisch aufgezeichnet wurde und bis heute als gewannname erhalten geblieben ist.

Auf diesem höhenzug gab es einen großen unergründlichen see, in dem oder bei dem sich schöne frauen aufhielten, die die menschen besuchten und ihnen bei der arbeit halfen oder ihre aussergewöhnlichen spinnkünste weitergaben, bis die jungen männer des ortes höhefeld die uhr zurückstellten und die seefrauen klagend verschwanden. Von dieser geschichte zeugen noch die gewannnamen seebrunnen und im see. Im ried, einem gewann in der nähe, wurde eine frühgeschichtliche siedlung ausgegraben.

Heute ist der see trockengelegt. Nur einige gurgelnde quellen und ein neu angelegter kleiner see in der nähe des erlisbrunnen zeugen noch von der kraft und schönheit der natur. Vom gebiet um den erlisbrunnen wird erzählt, dass viele jahre nur noch die kinder diesen ort aufsuchten und dort mit schönsten äpfeln und sogar kuchen reichlich beschenkt wurden. Doch die erwachsenen trauten sich wohl nach der christianisierung nicht mehr dorthin. Er war ihnen unheimlich geworden.

An der alten steige von niklashausen richtung höhefeld gibt es eine höhle und hier sahen die leute die wilde frau herauskommen. Sie schöpfte mit einem großen silbernen gefäß wasser aus dem erlisbrunnen. Die frau trug ein grünes kleid mit rotem zierrat und sah sehr stolz und vornehm aus. In der hand trug sie einen speer, damit erlegte sie das wild in weiter entfernung. Zu dieser zeit konnte sie noch morgens, mittags und abends wahrgenommen werden.

Ganz in der nähe liegt der ort gamburg mit dem ortsteil lindhelle. Dort gibt es einen grossen stein, der hexenstein genannt wird. Hier sollen die frauen zum maifeiertag getanzt haben. Leider hatten wir im taubertal erschütternde hexenverbrennungen, das freie tanzen wurde den frauen ausgetrieben.

Mit diesen geschichten im kopf gehe ich zu allen jahreszeiten die alte steige entlang, sehe die rote sandsteinhöhle in den aufgelassenen weinbergen, die der örtliche naturschutzverein von überwuchernden sträuchern freigeholzt hat. Nun stehen hier am hang des knollenberges schon lange knorrige apfelbäume und im tal glitzert die grüne tauber herauf, die wie eine schlange durchs tal mäandriert. Hier ist die göttin seit uralter zeit zuhause und hier begegnete sie auch, in der christlichen zeit, jetzt unter dem namen der jungfrau maria, dem hirten hans, pauker und flötenspieler, und erzählte ihm von ursprünglichen matriarchalen werten. Und schon kamen die alten von priestern und herren unterdrückten glaubensvorstellungen und praktiken wieder zum vorschein, die in ihm eine leidenschaft nach der alten ordnung freisetzten.

Die obrigkeit verbrannte den“ tumpen“ geschichtenerzähler und wunderte sich über seine ideen. Doch tausende, die ins taubertal strömten, um ihm zuzuhören, einfache leute, die sich wieder schwester und bruder nannten, spürten deutlich die urkraft dieser thesen und erinnerten sich an die erzählungen der alten am feuer der winterstuben. Das große laufen, wie es damals genannt wurde, nahm kein ende über monate, auch nach dem tod des pfeiffers hans, so dass die oberen sogar die kirche in niklashausen abreißen ließen, in der “von alters her" ein marienbild verehrt wurde.

Ich denke, hier war “von alters her“ ein kraftort und verehrungsplatz der frawen hulle. Und wie heißt es noch in der bibel: als wir noch der himmelskönigin räucherten und trankopfer brachten hatten wir brot und litten keinen mangel (jeremia44.15 ff.).

Claudia Lodders, tbb

literatur:
heide göttner-abendroth, die göttin und ihr heros
zwischen tag und dunkel, sagen aus dem taubergrund
der pfeiffer von niklashausen, mitteilungsblatt der ländlichen heimvolkshochschule gamburg, sondernummer