Region 10
Neckarland, Schwäbische Alb, Schwarzwald
Das obere Filstal
Drei Orte der Göttin
von Daniela Parr
Anfang Juni treffe ich Evelin Lang und zwei ihrer Freundinnen. Wir wollen zusammen die Plätze der Göttin im oberen Filstal erkunden. Bei strahlendem Sonnenwetter machen wir uns auf den Weg.
Evelin erzählt uns auf der Fahrt, dass es für das obere Filstal keine direkten Belege für eine Besiedelung in der Jungsteinzeit gibt. Allerdings ist Weilheim mit den Funden auf der Limburg nahe gelegen, so dass von einer Besiedelung der Gegend ausgegangen werden kann. Das obere Filstal wurde sehr früh industrialisiert, so dass etwahige Funde sehr früh dem Bagger zum Opfer gefallen sind.
Es gab schon damals einen direkte Weg von der Limburg über Gruibingen ins obere Filstal. Da viel der heutigen Straßen auf sehr frühe Wege oder Handelswege zurückgehen, können wir davon ausgehen, dass der Weg über Gruibingen schon damals genutzt wurde. Sichtlinien existieren zwischen der Limburg, der Teck, dem Aichelberg und dem Hohenstaufen in den Welsheimer Wald. Diese Linien stellen eine rituelle Verbindung zwischen den Orten dar.
Die rote Göttin im Süden
Wir fahren zum Kloster Ave Maria, etwas außerhalb von Deggingen. Hinter der Kirche befindet sich eine gemauerte Grotte mit einer Maria. Vor der Grotte ist ein Rosenstrauch aufgestellt: beides die Symbole für den Schoß der
Göttin.
Wir laufen zur Quelle, die mittlerweile den Namen Lourdesquelle erhalten hat. Dies dürfte nicht der ursprüngliche Name sein. Wir können uns gut vorstellen, dass in diesem Quellgebiet früher die rote Göttin verehrt wurde. Das Wasser kommt hier nicht aus einer konkreten Quelle, sondern quillt aus dem Boden heraus. Weiter oben auf dem Hügel befindet sich eine kleine Kapelle, die den Namen Alt Abe trägt. Sie ist auf den noch älteren Fundamenten einer früheren Kirche errichtet worden.
Die Klosterkirche ganz vorne wurde sehr viel später gebaut als Alt Abe. Sie ist Maria gewidmet, was für eine katholische Kirche sehr ungewöhnlich ist. Maria thront als Hauptfigur vorne über dem Altar und trägt ein rotes Kleid. In der ganzen Kirche befinden sich aus Stuck gearbeitete Rosen. Wegen des vorangegangenen Pfingstgottesdienstes ist die ganze Kirche noch mit roten Blumen geschmückt (s. Foto im Bericht von Evelin Lang), was das Rosenmotiv nur noch deutlicher heraustreten lässt. Immer wieder sind auch Darstellungen einer Muschel zu sehen,
z.B. über den Fenstern.
Ein Wandgemälde zeigt Maria, die ein Kind in einem Tuch hält. Das Tuch hat die Form eines Halbmondes mit dem Maria immer wieder auf die eine oder andere Art dargestellt wird. Die ganze Kirche ist der Muttergöttin geweiht. Wir gehen davon aus, dass dieser Ort früher ein altes Heiligtum der roten Ahnfrau war.
Die weiße Göttin im Osten
Wir fahren weiter in Richtung Osten, nach Bad Überkingen und halten an der Bundess
traße an, um den Platz der jungen Göttin anzuschauen. Von unten sehen wir die weißen Felsen der Jungfrauen-Göttin. Auf dem Gipfel des Felsens liegt das Dorf Oberböringen. Der Name Böringen ist abgeleitet von Borbeth, der jungen Göttin der drei Bethen.
Die Gründung des Dorfes Oberböringen oben auf dem Berg war kein Zufall. Die Menschen wollten sich auf dem Ort der weißen Göttin niederlassen, von wo aus sie die Ahnfrau in der Landschaft jeden Tag unmittelbar sehen konnten.
Die schwarze Göttin im Westen
Unsere Tour führt uns zur Kreuzkapelle auf dem Leimberg in der Nähes des Dorf Gosbach am Drackensteiner Hang. Wir befinden uns nun im Westen, am Ort der schwarzen Göttin. Auch hier begleitet uns ein Kreuzweg den Berg hoch
nach oben zur Kapelle. Der Weg ist gesäumt von mehreren Wacholderbüschen, die bald die schwarzen Beeren der der dunklen Göttin tragen werden. Auf den Blüten der Heckenrosen sitzen mehrere schwarze Käfer und weisen uns den Weg. Der Aufstieg gestaltet sich sehr schweißtreibend, da die Sonne noch immer vom Himmel herunterstrahlte.
Evelin erzählt uns während einer kleinen Pause die Sage von der marrokanischen Prinzessin, die drei Kleider hat wie Sonne, Mond und Sterne. Außerdem hören wir die Geschichte vom lebenslustigen Burgfräulein, das den Menschen in Form der geflügelten Schlange folgt. In dieser Sage versteckt sich das alte Wissen um den Drachenberg und seine Göttin. Wir sinnieren ein wenig über die Unterwelt. Sie erscheint uns als ein freudvoller und heiterer Ort, an dem viel gefeiert wird.
Schließlich kommen wir oben auf dem Berg bei der kleinen Kirche an, hinter der wir einen atemberaubenden Ausblick auf das Drakensteiner Tal genießen können. Unten im Tal befindet sich der Ort Drackenstein, dessen Ortsnamen sich von Drachenstein herleitet. Hier ist das Symboltier der schwarzen Göttin recht offensichtlich erhalten geblieben.
Das dunkle Tal eignet sich nur wenig, um hier zu siedeln, aber auch dieses Dorf ist entstanden, da die Menschen der Göttin ganz nah sein wollten. Wir können von hier oben die Autobahn sehen, die sich links und rechts um den
Aichelberg herumschlängelt. Beim Autobahnbau soll eine Höhle mit Namen "Todloch" gesprengt worden sein. Eine Höhle mit dem Namen "Drachenloch" blieb erhalten. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um die Höhle aus der Sage.
Direkt vor uns können wir eine Hügelkette erkennen, die bei genauerer Betrachtung exakt wie ein Drache aussieht. Vorne hat sie einen Drachenkopf und dahinter liegt der Körper des Drachen langgezogen in der Landschaft. Bei diese Formation muss es sich um die geflügelte Schlange aus der Sage handeln.
Auf dem Berg, der den Kopf darstellt, liegt die Burgruine Hiltenburg. Der Name der Ruine enthält den Wortstamm Hel, was einer der Namen der Unterweltsgöttin ist.
Nach einer kurzen Rast in einer Bäckerei am Fuße des Berges fahren wir weiter zur Kirche in Unter-Drackenstein. Hier scheint es lange Zeit viele Anhänger des alten Glaubens gegeben zu haben. Die Kirche ist Michael dem Drachentöter
gewidmet, der mit seinem Dolch den Drachen tötet. Die Kirche lässt hier keinen Zweifel daran, dass die matriachale Spiritualität in Form des Drachens ausgemerzt werden musste. Auch diese Kirche steht auf einem alten Heiligtum. Der Name Drackenstein (=Drachenstein) erinnert noch heute daran.
Direkt unter der Kirche befindet sich ein Wass
erfall mit viel Moos und Pflanzen, die von oben herabhängen. Wir können uns gut vorstellen, dass die Menschen früher in dieser Felsformation die weise alte Göttin mit zwei dunklen Augen gesehen haben.
Auf dem Weg vom Wasserfall zur Kirche befindet sich im Fels eine Mariengrotte. Es freut uns sehr, dass die Verehrung bis in die heutige Zeit reicht, auch wenn die alte, schwarze Göttin mit der Gestalt der Maria okkupiert wurde. Zu unserer Überraschung ist das Tor an der Grotte offen, so dass wir hineingehen, Kerzen anzünden und Blumen ablegen können.
Daniela Parr
Die Straße, die die Orte verbindet, ringelt sich durchs Tal:
A = Deggingen (rot)
B = Oberböhringen (weiß)
C = Drackenstein (schwarz)