Region 8
Thüringer Becken, Vogtland, Thüringer Wald



Die Höhle der Frau Venus
Hörselberge/ Thüringen
Heide Göttner-Abendroth
www.goettner-abendroth.de


Der Text stammt aus dem Buch
„Mythologische Landschaft Deutschland“, edition amalia, Seite 247-249
mit freundlicher Genehmigung von Heide Göttner-Abendroth


Dem geschichtlichen kulturellen Zentrum Thüringens, der Wartburg bei Eisenach an der Westspitze des Thüringer Waldes, liegt in Sichtweite gegenüber die seltsame Felsrippe des Hörselberges (484 m). Sie besteht aus weißem Kalkstein, steigt im Norden sanft an, von Laubwald bewachsen, und fällt im Süden steil, nackt und zerklüftet ins Tal des Flüsschens Hörsel ab. Der Hörselberg hat ein eigenes, besonders mildes Klima, denn der Kalksteinfels speichert die Sonnenwärme. Daher besitzt er ein seltenes und schönes Pflanzenkleid, er ist reich an Apfelbäumen und wilden Rosenbüschen, und es duftet intensiv nach Kräutern, wenn man hinaufsteigt. So steht er in scharfem Kontrast zur eher kalten Nordseite des Thüringer Waldes mit seinen dunklen Tannenwäldern, er stellt ein Paradies voller Lieblichkeit und Vogelgezwitscher dar, ein richtiger Garten der Frau Venus.

Der heilige Berg der Roten Göttin, die alles zum Blühen und Fruchten bringt, muss er schon seit sehr alter Zeit sein. Die mit ihm verknüpfte Sage von Frau Venus, die den Ritter und Sänger Tannhäuser in ihrer Grotte im Berg in Liebesbanden hält, ist davon ein später Widerschein. Diese Grotte lässt sich noch heute im Hörselberg, von dessen oberen Kamm man eine herrliche Aussicht bis zur Wartburg genießt, auffinden; sie liegt in der südlichen Steilwand und kann über einen schmalen Fußpfad erreicht werden. Zuerst kommt man zu einer vorderen Höhle, die lang und nur so hoch wie eine stehende Person ist, sie liegt wie eine „Wächterin-Höhle" vor der eigentlichen Kulthöhle. Diese verlangt noch ein beträchtliches Stück Weges, dann öffnet sie sich plötzlich als ein hoher Felsspalt, nach oben spitz zulaufend wie eine gotische Kirche. Ihre Größe und die weißen, zart im Licht schimmernden Kalkfelsen, senkrecht nach oben gerippt wie ein kunstvolles Muster, machen beim ersten Anblick fast atemlos. Die Grotte ist viel höher als tief, bis in die rosig schimmernde Kammer, in der sie endet, ist sie licht. Diese Kammer ist wie der Gang der Vorderhöhle künstlich behauen. Man muss ein wenig abwärts gleiten um hineinzukommen, und beim Verweilen drinnen verstärkt sich noch die erhabene Aura, welche die Grotte schon bei der Betrachtung von außen ausstrahlt. Sie ist, obwohl ein natürliches Gebilde, von außerordentlicher Schönheit. Kein Wunder, dass sie zu einer Kultstätte der Liebesgöttin wurde und der ganze Berg zu einem berühmten Venusberg. An seinem Fuß entspringen obendrein zwei Quellen, von denen die eine, in hilflosem Versuch der Verchristlichung, „Jesusbrünnlein" heißt.

Der Sage nach wurde der Ritter und Minnesänger Tannhäuser von einer feenhaft schönen Frau angelockt, als er am Hörselberg vorüberzog. Frau Venus selbst habe ihm gewinkt, ihr in den Berg hinein zu folgen, da konnte er nicht widerstehen. Ein ganzes Jahr weilte er bei ihr und genoss alle Wonnen der Liebe. Aber nach dieser Zeit beginnt er sich fortzusehnen, sein christliches Gewissen rührt sich und er bittet Frau Venus um den Abschied. Davon will sie aber nichts wissen und erinnert ihn an den Treue-Eid, den er ihr geschworen habe. Er leugnet dies und so streiten sie weiter, bis er sie zornig eine „Teufelin" nennt und Maria, die Gottesmutter, anruft. Gekränkt lässt sie ihn nun ziehen, doch soll er überall sie Frau Venus, in seinen Liedern preisen. Tannhäuser zieht auf Wallfahrt nach Rom, um Buße dafür zu tun, ein Jahr bei Frau Venus geweilt zu haben. Doch Pabst Urban IV verzeiht ihm diese Todsünde nicht: So wenig wie der dürre Pilgerstab Tannhäusers jemals wieder grünen würde, so wenig würde ihm verziehen! Tannhäuser beklagt diese Strenge, aber dann zieht er wieder zu seiner lieben Frau Venus in den Berg, wo Gott ihn offenbar hinsenden will. Die Liebesgöttin empfängt ihn glücklich, und kaum sind drei Tage vergangen, da grünt der dürre Pilgerstab in Rom. Dieses Wunder ließ das Urteil des Papstes zuschanden werden und brachte ihn selber in die ewige Verdammnis.

Hier sehen wir die Tannhäuser-Sage noch unverbunden mit der Erzählung vom „Sängerkrieg auf der Wartburg", mit der sie ursprünglich nichts zu tun hatte. Und wir sehen sie auch frei von der sentimentalen Verchristlichung, die ihr Richard Wagner in seiner Oper „Tannhäuser" (1843) übergestülpt hat. In seiner Version werden beide Sagen verbunden und Tannhäuser zu dem auf der Wartburg verfemten Sänger gemacht, weil er von der „heidnischen" Venusliebe statt von der sittsamen „Hohen Minne" singt. Nur die junge Elisabeth, hier zur Nichte des Landgrafen gemacht, rettet ihn vor dem Tod durch seine aufgebrachten Sängerkollegen. Tannhäuser geht danach auf Büßerfahrt nach Rom, wo er keine Verzeihung findet. Es ist allein die keusche, reine Liebe der nun heiligen Elisabeth, die fürbittend für Tannhäuser stirbt, welche ihm Erlösung von der Verdammnis bringt. So stellte man sich in der bürgerlichen Neu-Romantik das Mittelalter vor. Die mittelalterliche Version der Spielleute, den Sängern des Volkes, ist dagegen recht unchristlich, sie enthält sogar eine massive Kritik an der Kirche, die etwas von der Meinung des Volkes spiegelt. In ihr wird die Liebesgöttin rehabilitiert, denn Tannhäuser kehrt reuig zu ihr zurück, weil „Gott es offenbar so will" – wie es ironisch heißt. Die Verehrung der Göttin zeigt sich als noch lebendig, denn sie ist es, die das Dürre wieder grünen lässt, das Tote wieder lebendig macht (Symbo1 des Pilgerstabes), was der Papst als ein gehässiger, steriler Greis nicht kann. Die Göttin feiert nämlich, in Gestalt ihrer Priesterin, die Heilige Hochzeit mit ihrem erwählten Liebhaber, und durch diese magische Handlung wird nach uraltem matriarchalen Glauben die Erde fruchtbar. Die Sage von Tannhäuser im Hörselberg weist auf diesen Kult der Roten Göttin in ihrem Heiligtum hin, der offenbar bis in die Zeit des Mittelalters andauerte.

Der Hörselberg in Thüringen ist nicht der einzige Venusberg, von dem die Sage der Liebesgöttin und Tannhäuser erzählt wird. Es gibt sie auch von dem Hügel „Tiergarten" (Thierget) in der Schweiz, der etwas östlich vom Walensee in Richtung Sargans liegt. Dieser merkwürdige Hügel ist aus rotem Gestein und lag früher als eine geheimnisvolle Insel im einst doppelt so großen Walensee. Es heißt von ihm, dass dort Tannhäuser bei Frau Venus (Frau Vrenes) wohne und süße Musik erklinge, zu der viele schöne Jungfrauen tanzen. Auch Geschrei und Tierstimmen seien zu hören, überhaupt ein wildes Treiben, das manchmal sogar durch die Lüfte dahergebraust käme und gute Christenmenschen zu Tode erschrecke. Nur mit Gebet, Glocken und Teufelsaustreibung sei diesem Spuk beizukommen."

Nun ist diese Form der Sage mit der Namensnennung „Tannhäuser" und der lateinischen Bezeichnung „Venus" für die Liebesgöttin die späteste Variante. Der bayerisch-österreichische Minnesänger Tannhäuser lebte um 1200-1268, und die ebenfalls historische Gestalt des Papstes Urban IV ist belegt von 1261-1264. Der Ritter Tannhäuser führte ein unstetes Leben, er war Sänger am Hof des Herzogs Friedrich II. von Österreich, nahm an einem Kreuzzug teil und endete als „Abenteurer". Vielleicht hatte er Beziehungen zu dem alten, noch lebendigen Kult der Roten Göttin, in welchem die Heilige Hochzeit nach wie vor gefeiert wurde, und hielt deshalb auf die Dauer das christlich-patriarchale Zeremoniell der Fürstenhöfe nicht aus. Denn seine Gestalt ist sicher nicht aus purem Zufall von den volkstümlichen Spielleuten mit der Liebesgöttin verknüpft worden.

Es gibt wesentlich ältere Göttinnamen, die hinter „Frau Venus" stehen, und auch ältere Ritterfiguren als den ambivalent christlichen Tannhäuser. So ist die in der Tannhäuser-Sage geschilderte Handlungsweise der Göttin ebenfalls typisch für Fee Morgane, was aus ihren vielen, über ganz Europa verstreuten Sagenfragmenten hervorgeht. Als Rote Göttin hatte sie die Angewohnheit, sich mit ihren acht Jungfrauen von wildem, amazonischem Charakter vorüberziehende Ritter als ihre Liebhaber einzufangen und sie auf ihren Inseln oder Bergen in ein „gläsernes Gefängnis", ihr mythisches Glasschloss, zu sperren. Diese Ritter (Melwas, Meleagant, Mabonagrin und besonders der später verchristlichte Lanzelot) erlebten bei der Liebesgöttin dann alle Freuden und Seligkeiten der Erotik, konnten aber niemals aus eigener Kraft wieder fort. Die Gestalt der Fee Morgane ist dabei keineswegs auf die späteren keltischen Rückzugsgebiete Bretagne, Cornwall, Wales, Irland und Schottland begrenzt, sondern diese Sagen von ihr kommen in ganz Europa vor (Frankreich, Spanien, Italien, Alpenländer, germanisiert auch in Deutschland). Sie tauchen überall da auf, wo es Venusberge gab, die in Italien „Sibyllenberge" genannt wurden und später als „Heiligenberge" oder „Kalvarienberge" ihre christliche Übertünchung erfuhren. Denn Fee Morgane war ebenfalls eine vorkeltische Grosse Göttin des matriarchalen Alteuropa.

Heide Göttner-Abendroth