Region 7
Hessisches Bergland, Rhön, Odenwald


Im Kreis der Ahnen
zwischen Ahnenkult und Astronomie
Johannes Groht

Dieser Artikel über die Steinkreise erschien in der Hagia Chora, Nr. 36, 13. Jahrgang 2011 und wurde uns freundlicherweise von Johannes Groht zur Veröffentlichung überlassen. Seine umfassende Darstellung aller in Deutschland bekannten Menhire finden Sie hier: www.menhire.net



Ein fast unbekannter Steinkreis sollte es sein, an einem verschwiegenen, hochgelegenen Ort mitten in Deutschland, mit einer an das südenglische Avebury erinnernden Stein-Allee - konnte das wahr sein? An einem dunstigen Morgen kletterte ich mit meiner Kamera ungesehen über den Zaun, um mir ein Bild von den Steinen zu machen. Aber das Motiv „funktionierte" nicht, und der Ort fühlte sich anders an als alle anderen Steinkreise, die ich bisher besucht hatte. Doch ich konnte mich täuschen - und ich wollte mich auch täuschen, denn schließlich waren die Quellen so nett und die Aussicht so verlockend gewesen, etwas Neues zu entdecken. Meine Intuition warnte mich jedoch, und so tappte ich schließlich nicht in die Falle des „Kultplatzforschers", sondern erfuhr vom zuständigen Archäologen, dass der Kreis als Dekoration eines alten Gerichtsplatzes angelegt worden war - vor nicht mehr als 45 Jahren.

Wer sich in Deutschland auf die Suche nach Steinkreisen macht, begegnet unweigerlich auch diesen vermeintlich mysteriösen Anlagen. Neben der beschriebenen bei Hannoversch Münden (Niedersachsen) verkaufen sich die spätmittelalterlichen Zyklopenmauern von Schluchsee (Baden- Württemberg) hervorragend als geheimnisumwitterte, angeblich offiziell totgeschwiegene Steinkreise, ebenso wie der idyllisch über den Ufern des Rheins gelegene Martinsfeuer-Platz bei Oberdollendorf (Nordrhein-Westfalen) aus dem späten 19. Jahrhundert. Lüften wir also die Schleier der Schein- Heiligkeit und wenden uns einmal den echten prähistorischen Steinkreisen zu.

Kreise in der Landschaft
Anders als die einzeln stehende Menhire befinden sich die wenigen erhaltenen Steinkreise in Deutschland fast immer in feuchten Niederungen an Seen, Mooren oder Flüssen. Die meisten stehen in der Nähe der Ostseeküste. Ihre Durchmesser schwanken zwischen drei und dreißig Metern, wobei die Größe offenbar von den Küstenregionen zum Landesinneren hin abnimmt. Sie bestehen meist aus sieben, neun, elf oder dreizehn Steinen, die zwischen wenigen Dezimetern und zwei Metern hoch sind. Über ihr Alter und ihre Funktion ist viel gerätselt worden. Sicher ist eigentlich nur, dass die meisten in der Älteren Eisenzeit (800-450 v.Chr.) im Zusammenhang mit Friedhöfen angelegt wurden und eine oder mehrere Bestattungen umschlossen.

In einigen Anlagen wurden jedoch keine Urnen gefunden. Das könnte auf ein höheres Alter und eine andere Funktion hindeuten. Selbst der eisenzeitliche Steinkreis bei Damp (Schleswig-Holstein) wurde offenbar anders genutzt, bevor man ihn als Friedhof verwendete. Auch in Schweden sind Kreise bekannt geworden, die keinerlei Bestattungen enthielten. Einige von ihnen konnten auf etwa 2500 v.Chr. datiert werden. Sie werden mit Fruchtbarkeitskulten in Verbindung gebracht.

Einige Anlagen wie der Steintanz von Boitin (Mecklenburg-Vorpommern) waren vielleicht auch astronomisch ausgerichtet. Ihr Grundriss dürfte geometrisch konstruiert worden sein. Drei Steinkreise stehen nah beieinander, ihre Zentren lassen sich anhand zweier symmetrisch angeordneter rechtwinkliger Dreiecke bestimmen. Eine der Hauptachsen verläuft in Nord-SüdRichtung, eine andere nach Südosten - genau über einen vierten Steinkreis, der in etwa 150 Meter Entfernung steht. Die Peilung über sein Zentrum markiert exakt die Ric
htung, in der die Sonne am Tag der Wintersonnenwende aufgeht.

Tanzende Steine und heilige Wiesen
Die Menhiranlage von Darmstadt (Hessen) ist die wohl älteste erhaltene in Deutschland. Schätzungen über den Zeitpunkt ihrer Errichtung umfassen den Zeitraum von 4500 bis 800 v.Chr. Sieben Steine befinden sich noch auf den feuchten Hirtenwiesen, ursprünglich sollen es vierzehn gewesen sein. Der größte von ihnen ist etwa zwei Meter hoch und trägt Verzierungen. Eine Y-förmige Rille mit einer Vertiefung im unteren Bereich könnte auf die abstrakte Darstellung einer Figur mit Halskette und Nabel hindeuten (ähnlich wie beim Eselstrapp von Trittenheim, siehe Hagia Chora Ausgabe 33/34).

Der ursprüngliche Grundriss der Anlage ist unklar. Einer Theorie nach bestand sie aus vier um den bearbeiteten Stein angeordneten Halbkreisen sowie einem westlich außerhalb der Anlage stehenden einzelnen Menhir. Der Ruthsenbach, der heute zwischen den Steinen fließt, ist erst vor einigen hundert Jahren auf die „heylige wieße" umgeleitet worden.

Einen typischen Kreis beschreibt hingegen der Steintanz von Lenzen (Mecklenburg-Vorpommern) am Rand des Brümmelmoors. Er besteht aus neun Steinen und hat einen Durchmesser von gut neun Metern. Die Steine sind bis zu eineinhalb Metern hoch. Die kleineren stehen im Südosten, zum Moor hin, die großen im Nordwesten. Sie alle waren flachgelegen, bis sie 1917/18 zur Gestaltung eines „schönen Ruheplatzes" wieder aufgerichtet wurden. Dabei wurden einige versetzt, um die Abstände zwischen ihnen auszugleichen. Man kann aufgrund ähnlicher Grabungsbefunde nur annehmen, dass der Kreis im Zusammenhang mit dem Ahnenkult gestanden hat, und vermuten, dass die Nähe zum (Opfer-?)Moor eine Rolle gespielt haben muss.

Offenheit und Weite
Der offene Raum, den die Steinkreise umfangen - sowohl physisch als auch geistig - macht sie ungemein faszinierend. Er verleitet uns immer wieder dazu, ihn mit unseren eigenen Wunschvorstellungen zu füllen. Manchmal bleiben diese hängen, und man trifft vor Ort auf Fäden, Markierungen und Spuren persönlicher Rituale. Die Plätze werden benutzt und eingesponnen in geistige Netze, die mit ihrer eigentlichen Bedeutung möglicherweise gar nichts zu tun haben. Deshalb reinige ich Steinkreise von solchen Hinterlassenschaften. Wir sollten uns lieber unser Unwissen eingestehen und die intellektuelle Redlichkeit aufbringen, nicht zu vereinnahmen, was wir noch nicht verstanden haben und was niemandem allein gehört.


Johannes Groht
freier Fotograf und Grafiker in Hamburg
Ausstellungen und Veröffentlichungen zum Thema Natur und Kultur
In Vorbereitung: das Buch „Menhire in Deutschland"

www.menhire.net
www.ur-bild.de