Es ist ein stiller und abgelegener Ort an einem kleinen Bach unter Bäumen. Große Steinblöcke liegen hier, wie sie nur selten zu finden sind. Erst seit etwa vierzig Jahren sind diese Steine wieder sichtbar, sie waren in der Erde verborgen. Sie müssen sehr lange dort gelegen haben, denn es gibt keinerlei Erinnerung an sie, keinen Flurnamen, keine Sagen oder Legenden.
Durch Zufall und durch die Aufmerksamkeit eines Heimatforschers sind sie gefunden worden: Vierzehn Menhire aus Granitporphyr, die erst aufgerichtet werden mussten. (Menhir bedeutet langer Stein).
Diese Menhiranlage aus der Jungsteinzeit (ca. 3000 v. u. Z.) befindet sich am östlichen Rand der Hirtenwiese im Naturschutzgebiet Scheftheimer Wiesen zwischen Darmstadt und Roßdorf. Siedlungsfunde in der nahen Umgebung, von der Alt- und Jungsteinzeit bis hin zur Zeit der Kelten, machen diese Gegend zu einem geschichtlich hochinteressanten Ort.
Einst sollen die Menhire, die zwischen 45 cm und 2,18 m hoch sind, weithin sichtbar in einer Wiese gestanden haben. Die Bäume wurden erst später gepflanzt. Bis heute gibt es dort eine „Heegwiese“. Heegwiese (oder auch Hegwiese) bedeutet so viel wie „gezäunte Wiese“, auf der nicht geweidet werden durfte. Niemand weiß mehr, warum die Wiese eingezäunt war. 1930 sollen noch Reste des Hags zu sehen gewesen sein. An diese Wiese grenzte eine andere, die noch im Jahr 1704 „Roßdorffer heylige Wieße“ genannt wurde. Von den Menhiren war bereits damals nicht mehr die Rede.
Interessante etymologische Studien der Autorin Dagmar Margotsdotter-Fricke bezüglich des Wortstammes „Ross“ weisen in vorchristliche Zeiten zurück. „Rose“ und „Ross“ haben den gleichen Wortstamm. Heilige Haine, die von stechenden Rosengewächsen „umhegt“ waren, trugen später oft den Namen Rosengarten, Rosskopf oder eben Rossdorf. Das Ross (die weiße Stute Epona) war in der keltischen Kultur ein heiliges Tier. Hier liegt ein uralter Zusammenhang mit einem heiligen Hain sehr nahe, sowohl mit dem Ort Rossdorf, als auch mit der Heegwiese und der „heyligen Wieße“.
Der größte Stein der Anlage, von dessen Spitze ein Teil abgebrochen daneben lag, hat auffällige Rillen in Form eines aufrecht stehenden Y, das am unteren Ende 10 cm breit und 5 cm tief ist. Diese Rillen sind von menschlicher Hand in den Stein eingemeißelt worden. Das Y könnte einen Menschen mit erhobenen Armen in anbetender Haltung darstellen. Dies kann als Ideogramm einer geistigen Bildsprache gelesen werden, die in archaischen Gesellschaften entwickelt wurde.
Mit dem aufkommenden Christentum wurden die Heiligtümer der „Heiden“ zerstört oder christlich umgewidmet, so auch heilige Haine und Steinkreise. In mehreren kirchlichen Konzilien wurde der Steinkult verdammt und verboten, das Konzil von Nantes im Jahr 658 erteilte die Weisung, die Monumente auszugraben und an verborgene Orte zu verbannen. Es ist nicht bekannt, ob in dieser Region der Anweisung der Kirche Folge geleistet wurde.
Menhire geben viele Rätsel auf, etwas hilflos werden sie häufig als „Kultsteine“ bezeichnet. Wenn wir allerdings über den Tellerrand schauen, zum Beispiel nach Indien, finden wir das matriarchale Volk der Khasi, bei dem auch heute noch Menhire aufgerichtet werden. Die Forscherin und Autorin Heide Göttner-Abendroth hat von der Tradition dieses und anderer noch lebender, matriarchaler Völker berichtet. Die Menhire sind für die Khasi bedeutsam für die Verehrung ihrer Ahninnen und Ahnen und für ihren Glauben an die Wiedergeburt in der eigenen Sippe. Die Steine verkörpern die Verstorbenen, die in dieser Gestalt für immer unter den Lebenden weilen. Diese Steinplätze sind Treffpunkte bei wichtigen Anlässen, bei Festen werden sie mit Zweigen geschmückt. Viele Fakten sprechen dafür, dass auch die Menhire in der Darmstädter Region aus einer von Frauen getragenen Kultur stammen. Bei frühgeschichtlichen Ausgrabungen wurden überwiegend weibliche Skulpturen und Gravuren gefunden und es gibt eine erstaunliche Übereinstimmung der Symbolsysteme im Vorderen Orient, in Südosteuropa, im Mittelmeerraum und in Mittel-, West- und Nordeuropa.
Bis auf wenige Ausnahmen blieb die Erforschung der Ur- und Frühgeschichte bisher einseitig auf das patriarchale Weltbild fixiert. Es wurde davon ausgegangen, dass der „aggressive Jäger“ der eigentliche Kulturträger sei. Die „natürliche “ Vorherrschaft des Mannes seit Anbeginn aller Zeiten wurde nicht in Frage gestellt.
Die Archäologin Marija Gimbutas (1910-1994) fasste in klare Worte, was die patriarchale Geschichtsschreibung verschweigt: „Die Zeitspanne für die Verehrung einer Göttin beträgt mindestens 20.000 Jahre und die lange Entwicklungszeit der menschlichen Kulturgeschichte von der Altsteinzeit über die Mittel- und Jungsteinzeit bis hin zur Bronzezeit war, nachweisbar durch archäologische Forschungen, von einer frauenbestimmten Gesellschaft geprägt“.
Unmissverständlich deuten die Ergebnisse ihrer bahnbrechenden Forschungsarbeit in Europa auf die flächendeckende Verbreitung friedlicher matriarchaler Zivilisationen hin. Marija Gimbutas macht deutlich, dass in der Zeit zwischen 6.500 und 5.500 keine Hinweise auf Kriege gefunden wurden und auch keine tödlichen Waffen. Die Dörfer hatten keine Befestigungen.
Auch die Höhlenforscherin Marie König (1899 – 1988) hat sich in den 1950er Jahren mit der Bedeutung von Kulthöhlen aus der jüngeren Altsteinzeit (ca. 30 000 – 10 000) auseinandergesetzt und erkannte, dass die Menschen jener Zeit schon ein Kalendersystem besaßen. Wie auch andere Forscher und Forscherinnen, weist sie auf die zahlreichen Frauenstatuetten hin, die bei Ausgrabungen gefunden wurden. Die ältesten sind 30.000 Jahre alt. Sie veranschaulichen, wie Marie König schreibt, die Rundung der Welt mit dem Nabel als Mittelpunkt und der Vulva als Symbol für die Wiedergeburt. Tatsächlich wurden eingeritzte und oft rot gefärbte Schoßdreiecke an Felsen und in Höhlen als Zeichen des Lebens und Weiterlebens nach dem Tod in vielen Ländern auf der ganzen Welt gefunden.
Vor kurzem wurde eine ca. 40.000 Jahre alte, aus Elfenbein geschnitzte Frauenfigur auf der schwäbischen Alb gefunden. Aus Hessen stammt der älteste Fund der süddeutschen Linearbandkeramik (5500 bis 4700 v. Chr.), das Fragment einer weiblichen Skulptur aus Riedstadt-Goddelau.
Den Menhiren in der Darmstädter Gegend wird eine überregionale Bedeutung beigemessen. Die in der Anlage gegenwärtig noch vorhandenen sieben Steine haben eine Höhe von einem bis über zwei Meter.
Obwohl über die Entdeckung der Steine berichtet wurde, blieb das allgemeine Interesse gering und die Anlage so gut wie unbekannt. Eine ausführliche Beschreibung stammt von Gisela Poser:Die Menhiranlage zwischen Darmstadt und Roßdorf in ihrem kulturgeschichtlichen Zusammenhang, Hrsg. Kulturhistorischer Verein Roßdorf 2007
Unter Leitung des Kulturhistorischen Vereins Roßdorf finden mehrmals jährlich Führungen statt.
Im Odenwald gibt es zahlreiche einzelne Menhire, z.B. bei
Wersau, bei Alsbach, bei Klein-Umstadt, in Bensheim usw.