Region 6
Niederrhein, Eifel, Hunsrück, Pfalz und Saarland

Ferschweiler Plateau


Die Texte sind dem Buch: "Magische Eifel - Reisen zu mythischen Orten"
von Judith Mies entnommen.
www.arduinna.de


Steinkistengrab und Seelenloch

Für diese Tour empfiehlt sich die Anreise mit dem PKW. Es bietet sich an, die Tour zum Steinkistengrab mit der Besichtigung der Schankweiler Pfarrkirche St. Michael und mit einem Ausflug zur Wallfahrtskapelle Maria Hilf, der sogenannten „Schankweiler Klause“ zu verbinden.

Der archäologische Befund zum Steinkistengrab liest sich nüchtern: Das 5000 Jahre alte Denkmal liegt am westlichen Steilhang des Hartberges nördlich von Schankweiler. Das Grab ist ausgeschildert und gut zu finden, obwohl es sich harmonisch-unauffällig in die Landschaft einfügt. An einer Nische in einem natürlichen Felskopf wurden drei Platten aus örtlichem Liassandstein angestellt, so dass sich eine Kammer von rund 2 m x 1,2 m ergibt. In der Platte der nördlichen Stirnwand ist in der unteren Hälfte eine 70 cm weite, kreisrunde Durchlochung – ein sogenanntes Seelenloch – erhalten. Die Bezeichnung rührt von der Vorstellung her, dass die im Tode vom Körper getrennte Seele durch dieses Loch entschwebte. Eine Vorstellung, die deutlich unser christlich geprägtes Seelenverständnis widerspiegelt, von der wir darum nicht wissen, ob sie in der damaligen Zeit auch so bestand. Unzweifelhaft ist hingegen der praktische Zweck der runden Öffnung: Durch diesen Zugang konnten im Laufe der Zeit immer wieder neue Bestattungen abgelegt werden.

Die ursprüngliche Abdeckung der Kammer mit Steinplatten war zur Zeit der Ausgrabung bereits entfernt worden. Es stellte sich heraus, dass etliche Platten zum Bau eines hallstattzeitlichen Hauses, dessen Reste man unmittelbar neben dem Grab entdeckte, verwendet worden war. Weitere Entnahmen zu Bauzwecken sind für die Römerzeit oder das Mittelalter anzunehmen. Erkennbar sind noch die Sohlen von vier Schrotgräben.

An Beigaben wurden einige Feuersteinmesser, Pfeilspitzen und Gefäßreste gefunden, die eine Errichtung der Anlage um 3000 v.u.Z. nahe legen. Ein kleiner Becher mit sogenannter Stacheldrahtverzierung, der bereits in die frühe Bronzezeit nördlicher Tradition gehört, illustriert, dass die Grabkammer – mit möglichen Unterbrechungen – über 1000 Jahre benutzt wurde. Die Steinkiste von Schankweiler ist das einzige, sichtbare jungsteinzeitliche Kollektivgrab in Rheinland-Pfalz. (Schindler 41 f.) Die Grabanlage liegt am Hang einer hohen Kuppe mit weitem Rundblick. Sie dürfte ursprünglich von einem Hügel bedeckt und mit einer Steinstele gekrönt gewesen sein, so dass der Ahnenort weithin sichtbar war.

Sankt Michael und Schankweiler Klause

In einer Gegend, die so reich an Zeugnissen vorchristlicher Religion ist wie das Ferschweiler Plateau, darf Michael, der bewaffnete Verteidiger des Christentums, natürlich nicht fehlen. Auch in Schankweiler, dem Dörfchen unterhalb des Steinkistengrabs, begegnet er uns. Der heutige Bau der einschiffigen Pfarrkirche Sankt Michael mit Kreuzrippengewölbe und Treppengiebelturm stammt von 1733 und steht vermutlich auf älteren Fundamenten. Die Inneneinrichtung ist jüngeren Datums. Ein Gemälde aus dem 18. Jahrhundert, das die Madonna mit dem Kind vor dunklem Hintergrund zeigt, hing ursprünglich in der Schankweiler Klause. Auch in Bollendorf ist Michael Patron der Gemeinde, deren ältestes Kirchlein schon aus der Zeit Willibrords, also aus dem 7./8. Jahrhundert stammen soll. Das mehrfache Auftreten des Erzengels rund um das Ferschweiler Plateau wie auch um andere vorchristliche Siedlungskerne herum ist kein Zufall, gilt doch Michael als mächtiger, notfalls militanter Bezwinger der „heidnischen“ Kulte: gewaltsame Christianisierung des Heidentums und die unbeugsame Verfolgung unbotmäßigen Verhaltens.

Die Wallfahrtskapelle „Maria Hilf“, so der offizielle Titel der allgemein „Kläuschen“ genannten Eremitage und Kapelle im Wald bei Schankweiler, wird noch rege genutzt. Auf den ersten Blick lässt die hübsche Barockkapelle an nichts Anderes denken als an volksfromme Marienverehrung. Alljährlich zur im Mai beginnenden Wallfahrtssaison finden wöchentliche Messen und Andachten bei der „Mutter vom guten Rat“ statt, wird auf dem Kläuschen geheiratet und getauft, pilgern Menschen in Gruppen oder allein mit ihren Sorgen und Anliegen zur „Schwarzen Notmarie“.

Der heutige Klausenkomplex besteht aus der 1762-63 errichteten Wallfahrtskirche mit prunkvollem Hochaltar, der Einsiedelei mit Nebengebäuden, einem umfriedeten Hof sowie einer kleinen Kapelle an der PKW-Zufahrt. Die Kapelle ist ein einschiffiger verputzter Bruchsteinbau mit reicher Innenausstattung aus Barock und Rokoko. Das Anwesen liegt auf einem breiten, nach Nordnordosten gerichteten Felsvorsprung. Die Spalten und Klüfte der westlich anschließenden Steilhänge am „Kläuschen“ waren teilweise durch Steinverbauungen gesichert. Im Westen des Klausenbereichs sind diese Randwälle noch erkennbar. An der Ostseite des Klausenberges befand sich eine gefasste Quelle, in der sich die Wallfahrer zu waschen pflegten. Der ursprüngliche Kapellenbau stand links des heutigen, die zugehörige Klause befand sich auf dem nun als Aussichtspunkt hergerichteten Felskopf und konnte nur durch riskante Kletterei oder über einen gebauten Übergang erreicht werden. Hier zog ein Bruder Johannes als erster Eremit 1648 mit Erlaubnis des Landesherrn ein, zahlreiche weitere folgten. Mit einigen Unterbrechungen war die Eremitage bis 1937 bewohnt.

Um die Spuren älterer Traditionen zu entdecken, schauen wir uns die Sagen und Legenden an. In der Überlieferung finden sich oft Bruchstücke alter Traditionen, die – da ihre einst magisch-kultische Bedeutung nicht mehr bekannt war – die Jahrhunderte relativ unversehrt überdauert haben. Freilich muss mit starken Überprägungen, Ergänzungen und Umdeutungen gerechnet werden.

So wird vor Ort von einem Ritter von der Prümer Burg bei Prümzurlay berichtet, der im Laufe eines Kreuzzugs in sarazenische Gefangenschaft geraten sein soll. Aus seinem Kerker rief er die Gottesmutter um Hilfe an und gelobte, ihr eine Kapelle zu bauen, wenn er je die Heimat wiedersehen sollte. Und schon befand er sich auf wundersame Weise auf jenem Felsen unweit seiner Burg, wo heute die Kapelle steht. Sogar sein treues Pferd war bei ihm. Auch von einem österreichischen Grafen (Tiroler Ritter) hören wir. Sein Pferd soll plötzlich gestockt haben, und angesichts der tiefen Schlucht, in die er beinahe gestürzt wäre, gelobte er eine Kapelle. Der Schankweiler Pfarrer habe dem Kapellenbau nur widerstrebend zugestimmt. (Zender Nr. 446, 447)

In einer weiteren Gründungssage heißt es, ein Ritter von Prümerburg sei auf der Flucht vor einem Verfolger an den Abgrund nahe der heutigen Klause gelangt. In seiner Not vertraute er sich der Gottesmutter an und sprang. Er landete unversehrt im Tal und fand in einer Felsnische ein notdürftiges Versteck. Damit der inzwischen über einen Weg ebenfalls ins Tal gelangte Verfolger dort gar nicht erst nachsehe, ließ Maria einen Vorhang von Spinnweben vor dem Eingang entstehen. Der Verfolger ging tatsächlich vorbei, der Ritter wurde gerettet und stiftete zum Dank die Kapelle. Der Hufabdruck soll an der Stelle, wo das Pferd sich vom Felsen abstieß, noch heute zu sehen sein.

Sowohl das Tragen über den Abgrund als auch das Weben eines Spinnwebvorhangs sind Wandersagen, die ähnlich an vielen anderen Wallfahrtsorten, Kapellen oder Gnadenbildern auftauchen. Mehrfach retten sich drei Jungfrauen in höchster Bedrängnis mit einem Sprung ihres Reittiers über den Abgrund, so in Prümerburg, Auw an der Kyll, Landskron-Ahr und Vianden. Eine Sage mit dem Titel „Der geheimnisvolle Spinnwebvorhang“ erzählt außerdem folgende Geschichte:

„Ida, ein schönes Burgfräulein von Neuerburg, wurde von manchem Ritter umworben. Sie schenkte aber ihre Hand und ihr Herz dem Ritter Kuno von Falkenstein. Der Ritter von Vianden, der ebenfalls das schöne Fräulein zur Frau begehrte, war darob sehr erzürnt. Als der Graf von Falkenstein zur Hochzeit nach Neuerburg reist, legte sich der Viandener auf der Berghöhe vor Neuerburg, bei dem Dorfe Koxhausen, auf die Lauer. Es kam zu einem erbitterten Kampf. Die Übermacht des Viandeners war zu groß, und bald lagen die Begleiter des Bräutigams erschlagen am Boden. Graf Kuno musste fliehen, und da ihm der Weg nach Falkenstein verlegt war, ritt er, so schnell ihn das Ross tragen konnte, gen Neuerburg. Schon hatte er die rettende Burg vor Augen, da brach das Pferd, völlig erschöpft, zusammen. Unfern aber hörte er das Rufen und Schreien der Verfolger. In seiner Not betete Kuno zur Gottesmutter um Hilfe. Sein Gebet wurde erhört. Plötzlich stand vor ihm eine lichte Gestalt und deutete wortlos auf eine alte Eiche. An deren Fuß befand sich ein dunkles Loch, welches in das Innere des hohlen Baumes führte. In dieser Höhlung barg sich schnell Graf Kuno. Schon stürmten die Verfolger heran. Sie fanden das tote Pferd, den Reiter aber suchten sie vergebens. Nachdem die Viandener abgezogen waren, verließ Graf Kuno das Versteck, dankte Gott für seine Rettung und eilte der Burg zu. Nachdem er mit seiner jungen Frau auf Falkenstein Einzug gehalten hatte, ließ Graf Kuno zum Dank für seine Errettung ein schön geschnitztes Muttergottesbild in der hohlen Eiche aufstellen. Dort steht es noch heute und ist von Alter und Kerzenrauch fast schwarz gefärbt. Und noch heute tragen die Menschen ihre Not und ihren Kummer zum Schwarzbildchen. Schon viele sind, wie einst Graf Kuno, erhört worden.“ (Theis 31)

Bei Zender, dessen Sagensammlung aus den 1920/30er-Jahren stammt, liest sich der Passus noch so: „Da kam eine Frau und hat ihn um den Baum und dann reingeführt. Gleich kam der Viandener mit seinen Soldaten. Der eine von denen sagte: ‚Hier muss er drin sein in dem Baum.’ ‚Nein, siehst du denn nicht die Spinnweben vor dem Loch.’ Da sind sie weitergeritten.“ (Zender Nr. 460) Die Eiche, die das Gnadenbild enthält, sei bereits zweimal angezündet worden, aber nie verbrannt. (Zender Nr. 461)

Die Macht, die man den Madonnen zuschrieb, kommt sehr deutlich in den Geschichten von selbständig agierenden Heiligenfiguren zum Ausdruck. Meines Erachtens drückt sich darin auch eine Auseinandersetzung zwischen erdverbundener Volksfrömmigkeit und patriarchaler Amtskirche aus. So hören wir, dass das Gnadenbild, welches heute im Hochaltar der Klause steht, in die Pfarrkirche Schankweiler überführt werden sollte. Die Pfarrangehörigen brachten es dorthin, doch am nächsten Tag war es verschwunden und fand sich auf der Klause wieder. Dies wiederholte sich dreimal, bis es schließlich oben bleiben durfte. (Zender Nr. 450) Eine ganz ähnliche Geschichte wird von der Marienfigur der Bildchenkapelle bei Vianden erzählt. Auch die dortige Muttergottes wollte nicht in der Pfarrkirche bleiben und fand sich anderentags stets wieder an ihrem ursprünglichen Platz in der Natur.

Ferner fehlen auch Erklärungen nicht, warum die Notmarie schwarz ist: Das Gesicht der Notmarie soll entweder schwarz sein, weil Maria beim Gang übers Gebirge so viel Sonne abbekommen hat, weil jemand die Figur beschossen hat oder aber aus Solidarität mit den schwarzen Beulen der Pestkranken. Auf einem in der Kapelle ausliegenden Andachtsbild heißt es: „Vor dieses Bild brachte man betend Sorgen und Leid in besonderen Nöten. In der Zeit der Pest – schwarzer Tod – hat man Maria als Pestpatronin angerufen und darum in Angleichung an die Krankheit Gesicht und Hände schwarz gemalt.“ Man habe die Figur mehrfach weiß gemacht, doch sei sie gleich am nächsten Tag wieder schwarz geworden.

All diese Sagen und Heiligenattribute enthalten viele Hinweise, die auf eine ehemalige Kultstätte der Erd- und Himmelsgöttin hinzudeuten scheinen, doch ist auf dem eigentlichen Klausenplateau außer einem Rest der vorzeitlichen Randbefestigung kein archäologischer Beleg hierfür zu finden. Darum sei noch ein Bericht wiedergegeben, der – gerade darum, weil er so gar nicht zum übrigen Sagengut passt und auch keine symbolische Aussageabsicht erkennbar ist – ein echter Hinweis auf eine Erdgöttin oder zumindest auf dämonisierte vorchristliche Kulte sein könnte. So soll beim Kläuschen auf der hohen Leyen früher eine riesengroße Schlange gelegen sein. Sie lag auf der runden Ley und habe ganz hell geflötet, so dass man es stundenweit hörte. Schließlich kamen sieben Jäger und erschossen die Schlange, die nach Schankweiler gebracht wurde. (Zender Nr. 1647)

Judith Mies


Die Texte sind dem Buch: "Magische Eifel - Reisen zu mythischen Orten"
von Judith Mies entnommen.
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