Mitten in der wunderschönen Thüringischen Landschaft, südlich vom Kyffhäuser, lebten schon vor 400.000 Jahren unsere menschliche Vorfahren (Bild 1), denn in dieser Gegend war es - vor allem in der Warmzeit zwischen den beiden Kälteperioden Elstereiszeit und Saalekaltzeit - sehr fruchtbar.
Bild 1: Landkarte, Bilzingsleben mit der Ausgrabungsstätte im Geopark
Kyffhäuser, Landkreis Sömmerda
Bild 2: Blick auf
Bilzingsleben
In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die
Fundstelle in der Nähe von Bilzingsleben im Kreis Sömmerda, Thüringen,
systematisch ausgegraben und die Funde bewertet. Die Menschen, die hier
lagerten, gehörten der Jagd- und Sammelkultur der Altsteinzeit an, sind also
älter als der/die homo sapiens. Die Stelle ist insofern von großer Bedeutung,
weil hier eine planvoll angelegte Siedlung mit Spuren von Arbeitsstellen
gefunden wurde, so dass der urmenschlichen Form des homo erectus (oder der
homo erecta!) Intelligenz zugesprochen werden muss.
In dreierlei Hinsicht gibt es dazu Hinweise und Schlussfolgerungen:
1. Siedlungsform
Die Siedlung (Bild 4) lag am Rande eines Sees und wies drei runde Stellen auf, die als Grundrisse von Hütten (Bild 5) erkannt wurden. Der ganze Bereich darum herum bestand aus einem Platz, der regelrecht mit Steinen und größeren Knochenplatten eben getreten worden ist (Bild 6). Vor den Hütten an den vermuteten Eingängen befanden sich Reste von Feuerstellen, d.h. Feuer konnte planvoll genutzt werden, wenn vielleicht auch noch nicht erzeugt.
Bei jeder Hütte gab es zwei Arbeitsstellen, gekennzeichnet durch Ambosse aus einem Muschelkalkkopfbzw. dem Gelenkkopf eines Elefanten und vielen Gerätschaften aus Feuerstein und Geweihknochen. Die steinernen Ambosse sind aus einer weiter entfernten
Gegend herangeschafft und bearbeitet worden. Auch das zeigt ein planvolles Vorgehen.
Bild 5: Rekonstruktion einer Hütte
Bild 6: Teil des gepflasterten Platzes, Ausgrabungsstätte unter Dach
Die Ausgestaltung der Hütten wurde aus ethnologischen
Vergleichen erschlossen. Da sich jeweils neben dem Eingang Elefantenstoßzähne
befanden, nahm man an, dass sie als Eingangsstützen Verwendung fanden und der
Rest mit Stangen und Geflecht gebildet wurde. Darüber kamen dann die Lagen mit
Heu, evtl. auch mit Lederhaut.
Außerhalb der Hütten befanden sich weitere Arbeitsplätze, getrennt nach Holz- und Steinbearbeitung.
2. Ritzzeichen auf einem Knochenstück
Der aufregendste Fund ist sicherlich das Knochenstück, auf
dem parallel und gebündelt verlaufene Ritzzeichnungen angebracht sind. Wenn
auch der Sinn nicht erschlossen werden kann, sicher ist, dass die Ritzung nicht
zufällig, sondern absichtlich angebracht wurde (Bild 5 + 6).
Bild 7: Knochenstück (Schienbeinstück eines Elefanten) mit Ritzzeichnungen
Bild 8: Detail
3. Sprache
Anhand der Knochenfunde und vergleichbarer Schädelfunde
anderer Individuen des/r homo erectus/erecta (z.B. in Afrika, Olduvai) ist zu
vermuten, dass die biologischen Voraussetzungen für das Sprechen gegeben
waren (Schädelfund Bild 9, Rekonstruktion Bild 10). Außerdem wird von den
Archäologen das Sprachvermögen für die Entwicklung eines sozialen Gefüges und
die Großwildjagd, wie sie für Bilzingsleben gesichert sind, vorausgesetzt.
Wobei hier kritisch anzumerken ist, dass in der Anthropologie nicht die Jagd,
sondern das Mutter-Kind-Verhältnis inzwischen als der Ursprung der Sprache
verstanden wird. Schließlich verbietet es sich, bei der Jagd Laute von sich zu
geben, während das Sprechen als zwischenmenschliche Aktion sehr viele Vorteile
bietet.
Bild 9 Schädelfragment
Bild 10 Rekonstruktion
Bild 11 Elefantenbackenzahn
Bild 12
versteinerte Blätter
Weitere interessante Funde sind versteinerte Blätter (Bild
12), Knochen von Elefanten (Bild 11), Nashörnern und Geweihreste. In dem
überdachten Museumsbau ist ein Teil der ausgegrabenen Pflasterstätte zu sehen
sowie einige der wichtigsten Funde. Ein einführender Film wird zu Beginn beim
Eintritt gezeigt, ein ausführlicher Film über die Ausgrabung und die Interpretationen
der Fundstücke läuft ständig in der Ausstellung selbst. Einige der Fundstücke
sind im Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens in Weimar, andere im
Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle[2] aufbewahrt.
Bei einem Besuch der Ausgrabungsstätte empfiehlt sich bei genug Zeit, auch den Sonnenstein von Bilzingsleben anzusehen (Bild 13), die Karstquelle von Kindelbrück (Gründelsloch) zu besuchen und etwas weiter westlich den Menhir von Feldengel (s.a. Godeweg Region 3: Menhire in der Gegend des Kyffhäuser) oder weiter südöstlich den Leubinger Grabhügel aus der Bronzezeit (Bild 15) „mitzunehmen“ (s.a. Bild 3).
Bild 13 Sonnenstein bei Bilzingsleben
Bild 14 Gründelsloch (Kindelbrück)
Bild 15 Fürstengrab von Leubingen
Friederike Bleul-Neubert
Bildnachweis:
Bilder 1,3,4: Hinweistafel am Eingang
Bilder 13 - 15: Wikipedia
Alle anderen Bilder: FBN
[1] Ausführliche Informationen habe ich dem Buch „Auf den Spuren des Urmenschen - die Funde von Bilzingsleben“ von Dieter Mania, dem Ausgräber, entnommen, Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1990
[2] Bilder und Informationen unter www.lda-lsa.de