Region 3
Lüneburger Heide, Weserbergland, Harz

Die Steinrinne von Bilzingsleben und die homo erecta

[1]
Südlich des Kyffhäusers
Friederike Bleul-Neubert

Mitten in der wunderschönen Thüringischen Landschaft, südlich vom Kyffhäuser, lebten schon vor 400.000 Jahren unsere menschliche Vorfahren (Bild 1), denn in dieser Gegend war es - vor allem in der Warmzeit zwischen den beiden Kälteperioden Elstereiszeit und Saalekaltzeit - sehr fruchtbar.

    

Bild 1: Landkarte, Bilzingsleben mit der Ausgrabungsstätte im Geopark Kyffhäuser, Landkreis Sömmerda
Bild 2: Blick auf Bilzingsleben

In den 80er Jah­ren des letzten Jahrhunderts wurden die Fundstelle in der Nähe von Bilzingsleben im Kreis Sömmerda, Thüringen, systematisch ausgegraben und die Funde bewertet. Die Men­schen, die hier lagerten, gehörten der Jagd- und Sammelkultur der Altsteinzeit an, sind also älter als der/die homo sapiens. Die Stelle ist insofern von großer Bedeutung, weil hier eine planvoll angelegte Siedlung mit Spuren von Arbeitsstellen gefunden wurde, so dass der ur­menschli­chen Form des homo erectus (oder der homo erecta!) Intelligenz zugesprochen wer­den muss.

Bild 3: Karte der Umgebung mit Wander­weg zu weiteren touristischen Orten
(Hinweistafel am Museumseingang)

In dreierlei Hinsicht gibt es dazu Hinweise und Schlussfolgerungen:

1. Siedlungsform

Die Siedlung (Bild 4) lag am Rande eines Sees und wies drei runde Stellen auf, die als Grundrisse von Hütten (Bild 5) erkannt wurden. Der ganze Bereich darum herum bestand aus einem Platz, der regel­recht mit Steinen und größeren Knochenplatten eben getreten worden ist (Bild 6). Vor den Hütten an den vermuteten Eingängen befanden sich Reste von Feuerstellen, d.h. Feuer konnte planvoll genutzt werden, wenn vielleicht auch noch nicht erzeugt.


Bild 4: Deutlich sind die Stellen zu erkennen, an denen die Hüttenreste gefunden worden sind. Vor den offenen Bereichen lagen Holzkohlenreste, die auf die Feuerstellen schließen lassen. Auch der „gepflasterte“ Platz (z.T. heute durch das Museum überdacht) ist erkennbar. (Hinweistafel am Museumseingang)


Bei jeder Hütte gab es zwei Arbeitsstellen, gekennzeichnet durch Ambosse aus einem Muschelkalkkopfbzw. dem Gelenkkopf eines Elefanten und vielen Gerätschaften aus Feuerstein und Geweihknochen. Die steinernen Ambosse sind aus einer weiter entfernten Gegend herangeschafft und bearbeitet worden. Auch das zeigt ein planvolles Vorgehen.

    

Bild 5: Rekonstruktion einer Hütte
Bild 6: Teil des gepflasterten Platzes, Ausgrabungsstätte unter Dach


Die Ausgestaltung der Hütten wurde aus ethnologischen Vergleichen erschlossen. Da sich jeweils neben dem Eingang Elefantenstoßzähne befanden, nahm man an, dass sie als Eingangsstützen Verwendung fanden und der Rest mit Stangen und Geflecht gebildet wurde. Darüber kamen dann die Lagen mit Heu, evtl. auch mit Lederhaut.

Außerhalb der Hütten befanden sich weitere Arbeitsplätze, getrennt nach Holz- und Steinbearbeitung.


2. Ritzzeichen auf einem Knochenstück

Der aufregendste Fund ist sicherlich das Knochenstück, auf dem parallel und gebündelt verlaufene Ritzzeichnungen angebracht sind. Wenn auch der Sinn nicht erschlossen werden kann, sicher ist, dass die Ritzung nicht zufällig, sondern absichtlich angebracht wurde (Bild 5 + 6).

     

Bild 7: Knochenstück (Schienbeinstück eines Elefanten) mit Ritzzeichnungen
Bild 8: Detail


3. Sprache

Anhand der Knochenfunde und vergleichbarer Schädelfunde anderer Individuen des/r homo erectus/erec­ta (z.B. in Afrika, Olduvai) ist zu vermuten, dass die biologischen Voraussetzungen für das Sprechen ge­ge­ben waren (Schädelfund Bild 9, Rekonstruktion Bild 10). Außerdem wird von den Archäologen das Sprachvermögen für die Entwicklung eines so­zialen Gefüges und die Großwildjagd, wie sie für Bilzingsleben gesichert sind, vorausgesetzt. Wobei hier kritisch anzumerken ist, dass in der Anthropologie nicht die Jagd, sondern das Mutter-Kind-Verhält­nis in­zwischen als der Ursprung der Sprache verstanden wird. Schließlich verbietet es sich, bei der Jagd Lau­te von sich zu geben, während das Sprechen als zwischenmenschliche Aktion sehr viele Vorteile bietet.   

        

Bild 9 Schädelfragment
Bild 10 Rekonstruktion
Bild 11 Elefantenbackenzahn
Bild 12 versteinerte Blätter


Weitere interessante Funde sind versteinerte Blätter (Bild 12), Knochen von Elefanten (Bild 11), Nashör­nern und Geweih­reste. In dem überdachten Museumsbau ist ein Teil der ausgegrabenen Pflasterstätte zu sehen so­wie einige der wichtigsten Funde. Ein einführender Film wird zu Beginn beim Eintritt gezeigt, ein ausführlicher Film über die Ausgrabung und die Interpre­ta­tionen der Fundstücke läuft ständig in der Ausstellung selbst. Einige der Fundstücke sind im Museum für Ur- und Frühge­schichte Thüringens in Weimar, andere im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle[2] aufbewahrt.

Bei einem Besuch der Ausgrabungsstätte empfiehlt sich bei genug Zeit, auch den Sonnenstein von Bil­zingsleben anzusehen (Bild 13), die Karstquelle von Kindelbrück (Gründelsloch) zu besuchen und etwas wei­ter westlich den Menhir von Feldengel (s.a. Godeweg Region 3: Menhire in der Gegend des Kyff­häuser) oder weiter südöstlich den Leubinger Grabhügel aus der Bronzezeit (Bild 15) „mitzunehmen“ (s.a. Bild 3).

            

Bild 13 Sonnenstein bei Bilzingsleben
Bild 14 Gründelsloch (Kindelbrück)
Bild 15 Fürstengrab von Leubingen

Friederike Bleul-Neubert


Bildnachweis:
Bilder 1,3,4: Hinweistafel am Eingang
Bilder 13 - 15: Wikipedia
Alle anderen Bilder: FBN



[1] Ausführliche Informationen habe ich dem Buch „Auf den Spuren des Urmenschen - die Funde von Bilzingsleben“ von Dieter Mania, dem Ausgräber, entnommen, Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1990

[2] Bilder und Informationen unter www.lda-lsa.de