Region 2
Ostseeküste, Mecklenburgische Seenplatte


Großdolmen auf dem Strezerberg
Schleswig-Holstein
Friederike Bleul-Neubert


Versteckspielen mit Großdolmen auf dem Strezerberg in Schleswig-Holstein

Gibt es das, dass sich Orte verstecken? Dass wir, ernsthafte Besucherinnen und Sucherinnen von besonderen Orten, an der Nase herumgeführt werden? Genau dieses Gefühl hatten Marie-Luise und ich, als wir – „alte“ Alma-Mater-Schwestern – die drei Langbetten auf dem Strezerberg aufsuchen wollten. Ich war für eine Woche in Plön und nahm die Gelegenheit wahr, Marie-Luise in Lammershagen zu besuchen. Sie hatte mir versprochen, eine ihrer Lieblingsstellen in ihrer Nähe zu zeigen.

Zuerst bekam ich ein köstliches Kaffeetrinken mit einer leckeren Torte aus einer besonde
ren Kieler Konditorei und einem Fünf-Elemente-Kaffee kredenzt, und wir tauschten die letzten Neuigkeiten aus, wie es eben bei einem Kaffeebesuch so geht. Dann fuhr Marie-Luise uns zum Waldrand, von wo aus wir munter in die Richtung gingen, in der sie bereits dreimal die Standorte der Langbetten gefunden hatte. Da die Tage vorher sehr kalt und nass gewesen waren, genossen wir schon einmal sehr die Sonnenstrahlen, die durch die hohen Bäume fielen, und die laue Luft. Vogelgezwitscher begleitete uns, die Natur ließ es endlich sommerlich sein.

Nach einigen recht steil auf- und absteigenden, noch relativ matschigen Haupt- und Nebenwegen blieb Marie-Luise stehen und guckte sich irritiert um. Wir hätten längst das große, nördliche Langbett sehen müssen. Kopfschüttelnd bedeutete Marie-Luise eine Richtungsänderung. Aber auch die brachte uns unserem Ziel nicht näher. Dreimal war sie bereits hier gewesen, im Sommer und im Winter, mit und ohne andere Menschen. Bisher hatte sie die Orte immer sofort gefunden, ihre innere Orientierung hatte sie immer richtig geleitet. Ich überprüfte gleich innerlich mein Gefühl, ob sich die Orte vor mir verbergen wollten? Nein, das war es nicht. Irgendwie kam es uns vor, als ob sie sich einen Scherz mit uns erlaubten, sucht mal schön! Auch Avalon kannst Du nicht auf Anhieb besuchen, die Nebel dort öffnen sich, wie sie wollen. Also gut. Noch ein bisschen hin und her – hier eine markante Stelle sichten, dort einen besonders interessant gewachsenen Baum bemerken, den Sonnenstand orten. Während Marie-Luise immer mehr verwirrt war, warum ihr die Orientierung nicht gelang, stieg in mir die Spannung.


 
„Jetzt g
eh ich erst mal pinkeln!“ Das war eine gute Idee von Marie-Luise. Pinkeln löst Knoten, beim Pinkeln kommen einer immer gute Ideen. In der Zeit, in der sie hinterm Busch verschwand, guckte ich wieder intensiv durch die Bäume auf die hellen Sonnenstellen im Wald. Und tatsächlich, gerade als sie wieder erschien und meinte: „Ich weiß jetzt die Richtung.“, winkten mir von weit oben her durchs Gebüsch von der Sonne beschienene Steine zu. Wir hatten das erste Langbett gefunden!


Wie ein Riesenleib hingebettet auf den Waldboden, geheimnisvoll einladend, uralt und doch gegenwärtig lebendig – so begrüßte es mich. Lange verweilten wir bei den einzelnen Steinen, in der Steinkiste, den beiden darauf gewachsenen Bäumen, ließen unseren Gedanken und Gefühlen ihren Lauf. Erst danach machte ich einige Fotos. 


Dieses nördliche 
Bett aus der Jungsteinzeit ist relativ gut erhalten. Größere, spitz zulaufende Steine bilden ein Rechteck von 26 m Länge und 5 m Breite. Im Westen stehen an den Ecken zwei etwas  größere Steine, die wie Wächterinnen wirken (Foto rechts). Im Osten stehen ein Abschluss- und ein Eingangsstein. Schräg dazu in der Mitte ist eine Steinkistenvertiefung eingelassen. Bei Ausgrabungen wurden keine Gebeine, aber u.a. ein Beil und drei messerförmige Geräte aus Feuerstein gefunden. Der Deckstein ist abgewälzt und liegt am Rand (Foto links). (Diese Informationen stehen auf einem offiziellen Schild, das aber mitten im Wald angebracht ist, direkt bei den beiden Langbetten, nicht vom Weg aus zu erkennen.)



Da durch die ursprüngliche Bedeckung der Eindruck einer künstlichen Höhle entsteht und die eine Steinwand der Vertiefung viel niedriger ist, stellten wir uns vor, dass dort der Eingang in die Kammer gewesen ist. Keine Gebeine, aber Steinwerkzeuge und die weihevolle Stimmung der ganzen Anlage ließ in uns die Vorstellung wachsen, dass hier Menschen hingekommen sind, die Rituale gefeiert haben und/oder sich in die Kammer begeben haben, um im Traum oder der Versenkung Rat und Hilfe zu erbitten, die Nutzung als Grab schien uns unwahrscheinlich. Marie-Luise hatte gleich vor, einmal dort zu übernachten (Bild rechts).



Das südliche Langbett ist nicht so gut erhalten, es liegen nur noch einige der Umfassungssteine in weniger geordneter Lage da (Bild links). Aber von dort aus konnten wir gut das parallel liegende nördliche Bett sehen (Bild rechts). Was mag der Anlass gewesen sein, zwei gleiche Anlagen nebeneinander aufzubauen, was haben die Menschen damals dort gemacht?


Wir bedankten uns bei den Orten, dass sie uns empfangen hatten und machten uns auf, das dritte Langbett zu suchen. 


Nun, auch das ließ sich nicht so einfach finden. Stattdessen kamen wir an einen mit Seerosen überwucherten See, den Marie-Luise noch nicht kannte. Tausende von kleinen Krötenkindern hüpften uns auf den modrigen Wegen zwischen den Füßen herum und ermahnten uns zu vorsichtigem Gehen. Als wir dann an einem Funkturm anlangten, mussten wir wieder eine radikale Richtungsänderung vornehmen, denn an dieser Stelle war Marie-Luise noch nie vorbeigekommen, das dritte Langbett musste also woanders sein. Wir gingen der Einfachheit halber und weil es langsam spät wurde, erst mal in Richtung Auto zurück. Genau das war aber richtig, denn kaum waren wir wieder am Waldrand angelangt, fanden wir ein Hinweisschild und kurz darauf das Giekauer Langbett.


Das besondere an diesem Bett war nicht die Lage. Es ist fast im Boden versunken, nur noch wenige der umrandenden Steine sind vorhanden. Aber der Stein, der wohl eine Kammer bedeckt, ist ein sog. Näpfchen- oder Schälchenstein, übersät mit mehr als 30 Vertiefungen. Ich fühlte über die wellige Oberfläche und sah einer Spinne beim Überqueren eines feinen Risses zu.

Nun war es leider Zeit zur Rückfahrt. Aber vorher hatten wir noch eine – fast magische – Begegnung: plötzlich lagen auf dem Waldboden Knochen, vermutlich von einer Wildsau. Vor allem der kräftige Kiefer mit einer vollständigen Zahnreihe lachte uns an – und aus? War das die Alte, die uns auf den Wegen an der Nase herumgeführt hatte? Ich widerstand der Versuchung, mir die Knochen mitzunehmen. Sie sollten dort im Wald bleiben, so wie die Geister des Ortes, die die drei Langbetten bewachen. 


Friederike Bleul-Neubert