Region 1
Nordseeküste, Elbe und Weser, Ostfriesland, Weser und Ems

Im Land der Freya
Plätze der Göttin zwischen Kiel und Hamburg

Daniela Parr


Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal

Nordöstlich von Hamburg hat sich während der letzten Eiszeit ein mächtiger Gletscher von Skandinavien aus über das Gebiet des mittleren Stormarns geschoben. Die Eismassen türmten sich teilweise bis zu 300 Meter hoch. Das Schmelzwasser konnte unter der Eisdecke nur in Tunneln abfließen und grub dort unregelmäßige Täler hinein. Am Ende der Eiszeit blieben sogenannte glaziale Rinnen zurück. Eine davon ist das Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal.

In der heutigen Zeit liegt die Senke des Tals nur noch geringfügig tiefer. Das Tunneltal wurde 1978 zum Naturschutzgebiet erklärt. Um das Gebiet wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen, wurden kleine Bäche in ihren natürlichen Verlauf zurückgeführt und Wälder und Hecken so gestutzt oder aufgeforstet, dass sich seltene Arten wieder ansiedeln konnten. Derzeit wachsen auf den Magerrasenflächen und in den Bruchwäldern seltene Pflanzen wie Sumpfveilchen, Fieberklee und Kleiner Baldrian. Das Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal ist außerdem ein Zuhause für viele Tierarten geworden, darunter so exotische wie die Königslibelle, die Knoblauchkröte und der farbenprächtige Eisvogel.

Ausgrabungen haben eine Besiedelung schon für die abklingende Eiszeit nachgewiesen. Archäologinnen vermuten, dass die Menschen an diesem natürlichen Engpass auf die durchziehenden Rentierherden warteten. Die Jägerinnen und Sammlerinnen siedelten hier überwiegend in den Sommermonaten. Davon zeugen die zahlreichen Hinterlassenschaften im Schlick des Tunneltals: darunter Votivgaben, die in die Teiche geworfen wurden, sowie zehntausende von Rentierknochen.

Am Rand des Teichs unterhalb des nahe gelegenen Stellmoorhügels fanden Archäologinnen einen 2,11 Meter hohen Kultpfahl. An seiner Spitze trug er den Schädel eines dreizehnjährigen Rentierweibchens. Bei Grabungen im verlandeten Sees am Fuße des Stellmoorhügels kamen außerdem etwa 100 Holzpfeile, ein 2 Meter langer zugespitzter Pfahl aus Kiefernholz und über 30 Geweihbeile sowie viele Stielspitzen, Klingenkratzer und Stichel aus Feuerstein zutage.

         

Wir schauen uns zuerst den kleinen Moorsee gleich vorne an der Straße des Stellmoor-Ahrensburger Tunneltals an. Ganz in der Nähe führt die Bahnstrecke Hamburg–Lübeck vorbei. Das dunkle Wasser des Moorsees bildet einen hübschen Kontrast zum jungen Grün des Frühlings und dem noch sichtbaren gelben Schilfrohr vom Vorjahr. An einigen Stellen können wir die rötliche Färbung des Wassers erkennen, die bei einem hohen Eisenanteil auftritt. Am hinteren Ende verlässt ein kleines Flüsschen den Moorsee und gurgelt leise in die flache Ebene des Stellmoor-Ahrensburger Tunneltals. Wir sind überrascht über die Breite des Tals, das sich als gelblich-grüner Streifen parallel zur Bahnlinie erstreckt.

         

Unser Weg führt uns am Rande eines Waldes mit wunderschönen alten Buchen und Eichen entlang. Die Baumfrauen erscheinen uns wie Wächterinnen. Fast direkt daneben zieht sich der breite eingezäunte Streifen des Stellmoor-Ahrensburger Tunneltals entlang. Große Teile davon sind mit Schilfgras und Magerrasen bewachsen. Vereinzelt sehen wir auch ein paar kleine Birken, Kiefern und Weiden. Uns fällt auf, dass die Weiden sehr stark gestutzt wurden. Links und rechts ist das Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal klar begrenzt durch einen Saum aus Hecken und Bäumen.

Wir gelangen zu einem kleinen See. Dort rasten wir eine ganze Zeit lang und genießen die Stille. Außer einer Spaziergängerin mit Hund sind wir schon seit einer gefühlten Ewigkeit keiner Menschenseele mehr begegnet.

Auf dem Rückweg verweilen wir noch einmal kurz bei den Baumahninnen und bedanken uns für den schönen Rundgang. Nun sehen wir auch den riesigen Ameisenhaufen, in dem es bei den ersten April-Sonnenstrahlen von großen fleißigen schwarzen Ameisen nur so wimmelt.


Pöppendorfer Großsteingrab

Schon vom Parkplatz des Pöppendorfer Großsteingrabs aus können wir die von einem runden Hügel umgebene Fläche sehen. Es handelt sich um den Pöppendorfer Ringwall. Er wurde auf einer kleinen Anhöhe errichtet und hat einen Durchmesser von circa 100 Metern. Sein Wall ist an der Außenseite zwischen 8–12 Meter hoch. Im Innenraum beträgt die Höhe des Walls 3–6 Meter. Der Eingang zum Ringwall befindet sich an der nordöstlichen Seite. Dort ist die Anlage um einige Meter niedriger als im Südwesten. Wir betreten den Ringwall und umrunden das Innere. Der Wall ist mit Bäumen und Büschen dicht bewachsen. Schließlich lassen wir uns für ein Sonnenbad auf der großzügigen Rasenfläche im Inneren nieder.

Auf einem Schild steht geschrieben, dass der Ringwall aus dem 8. Jahrhundert stammt und schon um das Jahr 1.000 wieder aufgegeben wurde: vermutlich zugunsten der Burg Liubice, der Vorläuferin Lübecks.

Im gegenüberliegenden Waldhusener Forst befand sich die zum Ringwall gehörende Siedlung. Bis heute zeugen davon 18 Hügelgräber mit slawischen Bestattungen. Einige davon können wir zwischen den Bäumen entdecken. Auf unserer Wanderung durch diese teilweise recht verwunschene Waldlandschaft kommen wir auch am sogenannten Herrenmoor und am Bauernmoor vorbei. Wir lesen, dass das Herrenmoor im 19. Jahrhundert bei einer Umverteilung des Landbesitzes bei den Besitzerinnen vom St.-Johannis-Jungfrauenkloster blieb, das Bauernmoor aber an die Bauern der Umgebung ging. Daher rührt die bis heute erhalten gebliebene Namensgebung. In dem ganzen Gebiet wurde in früheren Zeiten Torf gestochen. Dabei sind die heute sichtbaren offenen Wasserflächen entstanden.

    

Schließlich verlassen wir den Wald und laufen auf einem Feldweg zurück in Richtung unseres Parkplatzes. Schon von weitem vernehmen wir sphärische Klänge. Im Eingang zum Pöppendorfer Großsteingrab fällt uns ein Motorroller mit witzigen Aufklebern auf. Als wir näherkommen, sehen wir, dass eine Frau auf der Sitzbank neben dem Megalithgrab meditiert.

         

Da wir die Frau nicht stören wollen, unternehmen wir zuerst einen Rundgang um die Steine und gehen schließlich auch in die Grabkammer hinein. Drinnen liegt alles voller Holz. Als wir wieder herauskommen, erfahren wir von der Frau auf der Bank, dass hier öfter Kinder spielen. Diese würden das Megalithgrab immer wieder mit Holz füllen. Schlimmer seien aber die Jugendlichen, die hier regelmäßig ihre Bierflaschen zurückließen. Die Frau erzählt uns, dass sie sich seit ihrem ersten Besuch als Hüterin des Platzes fühle und immer wieder aufräume.

Wir plaudern noch eine ganze Weile mit der Frau. Unter anderem erfahren wir, dass das Musikinstrument, welches sie gespielt hat, sich Hang nennt. Sie spielt uns noch einmal ein paar Töne vor. Zum Abschied empfehlen wir der Frau unsere Vereinszeitung die „Mutterlandbriefe“, welche sie im Anschluss gleich abonniert hat und bis heute aufmerksam liest.

Das Pöppendorfer Großsteingrab lag ehemals unter einem vier Meter hohen Hügel mit 16 Metern Durchmesser. Es wurde im Jahre 1843 ausgegraben und wird der Trichterbecherkultur zugeordnet (3.500–2.800 v. u. Z.). Die innere Kammer hat eine Größe von 4 x 1,7 Metern und ist in Nordnordwest-Südsüdost-Richtung ausgerichtet. Auf den sehr gut erhaltenen zwölf Tragsteinen liegen vier Decksteine auf. Der Eingang in die Kammer befindet sich im Südwesten. Um die Anlage herum wurde ein Kreis aus 59 kleinen Findlingen angelegt. Er zeigt den ursprünglichen Umfang des Erdhügels an, der das Großsteingrab bedeckt.

 

„Opfermoor“ bei Braak/ Götterpaar

Auf dem Weg von Eutin nach Braak fahren wir auf einen Wegweiser zu, an dem drei Richtungen ausgewiesen sind: Klenzau, Braak und Gothendorf. Bei der Ortsbezeichnung Gothendorf kommt mir sofort das altertümliche Wort „Gode“ in den Sinn: So wurde die allumfassende Göttin früher genannt. Wir sind offenbar auf dem besten Weg zu einem heiligen Platz.

Ein paar Meter weiter lesen wir, dass der Feldweg abends ab 20 Uhr wegen Krötenwanderung gesperrt ist. Es existiert sogar eine Schranke, die nachts geschlossen wird. Das Dorf weiter hinten ist ab dem späten Abend nur noch über einen Umweg zu erreichen. Wir fräuen uns, dass die Kröte als Begleiterin der Göttin hier so aufmerksam beschützt wird.

Das Aukamper Moor liegt circa einen Kilometer weiter unauffällig in einer Wiese. Zwischen den abgestorbenen Grasresten vom Vorjahr sprießt junges Grün hervor. Die Wasserflächen dazwischen heben sich ockerbraun davon ab. Zusammen mit den alten ehrwürdigen Schwarzerlen und den weißen Birken, die teilweise im Wasser stehen, eröffnet sich ein wundervoller Anblick.

         

Im Torf des Aukamper Moores wurden zwei circa 2.500 Jahre alte Holzfiguren gefunden: das sogenannte „Götterpaar von Braak“. Es wird vermutet, dass es sich um ehemals aufrecht stehende Pfahlgöttinnen handelt. Die beiden Holzfiguren sind die größten bisher gefundenen Astgabelidole. Die y-förmige Gabelung der Eichenäste wurde für den Körper und die Beine der Figur genutzt. Das Y steht sozusagen auf dem Kopf. Die primären Geschlechtsteile von Mann und Frau sind grob stilisiert, aber deutlich erkennbar. Die weibliche Figur wird mit ausgeprägten Gesichtszügen dargestellt. Ihr längliches Gesicht besitzt ausgeschnittene Augen und einen Mund. Auf dem Kopf ist ein Haarknoten angedeutet. Für die Frau wurde eine Astgabel gewählt, die im Beckenbereich eine ausgeprägte Gabelung aufweist. Im eher ovalen Gesicht der männlichen Figur sind Augen und Mund mit Einschnitten angedeutet. Da bei beiden Figuren im Bereich der Schulterpartie Zapfenlöcher existieren, wird davon ausgegangen, dass dort ursprünglich Arme eingesteckt waren. Diese konnten allerdings bei den Ausgrabungen nicht geborgen werden.

Ca. 60 Meter vom Moor entfernt befand sich ein Brandopferplatz. Die Ausgrabungen lassen darauf schließen, dass er von einem Wassergraben umgeben war. Auch dort wurde ein Astgabel-Idol gefunden, allerdings ein sehr viel schlichteres. Archäologinnen gehen beim Aukamper Moor von einem zentralen Kultplatz der damaligen Zeit aus, der über einen längeren Zeitraum genutzt wurde. Das Darbringen von Gaben an die Göttin wurde oft und gerne in Mooren und an Seen praktiziert.

Das sogenannte „Götterpaar von Braak“ kann in der Nydamhalle des Archäologischen Landesmuseum von Schleswig-Holstein im Schloss Gottorf besichtigt werden. Sicherlich hatte auch bei diesem Ortsnamen die „Gode“ ihre Finger im Spiel.


Schalenstein von Bunsoh

Das Megalithgrab von Bunsoh liegt am Ortsrand von Dithmarschen. Vom nahe gelegenen Parkplatz aus ist es schnell über einen malerischen Hohlweg zu erreichen. Es wurde 1874 freigelegt und 1908 eingehend untersucht. Dabei fanden auch einige Grabbeigaben, z. B. Geräte aus Feuerstein. Die Entstehung der Anlage wird auf 3.500 bis 2.800 Jahre v. u. Z. datiert und stammt somit aus der Jungsteinzeit. Mit einer Länge von 3,75 Metern und einer Breite von 1,55 Metern gilt das Großsteingrab als eher klein. Seine Längsachse mit den acht Tragsteinen ist in Ost-West-Richtung ausgerichtet. Die Zwischenräume waren einst mit kleinen Steinplatten abgedichtet. Diese sind heute nicht mehr vorhanden.

         

Auf den Tragsteinen liegen drei Decksteine, von denen einer als Schalenstein ausgearbeitet ist. Auf ihm befinden sich an die 300 näpfchenartige Vertiefungen, sogenannte Schälchen, des Weiteren ein Radkreuz sowie Abbildungen von menschlichen Händen und ein Fußabdruck. Der Zugang zur Grabkammer liegt im Süden. Die Grundfläche des Grabes war durch senkrecht stehende kleine Steinplatten in vier Bereiche aufgeteilt. Es wird vermutet, dass hier im Zuge einer Sekundärbestattung (*) die Knochen der Ahninnen verschiedener Klans abgelegt worden sind.

Bezüglich des dritten Decksteins wird vermutet, dass er in der Bronzezeit unbedeckt war und deshalb die Schälchen in dieser Zeit erhalten wurden. Wahrscheinlich wurden sie hineingekratzt, um Näpfchen für kleine Geschenke an die Göttin zu schaffen. Dem so entstandenen Steinmehl wird eine heilende Wirkung nachgesagt und es könnte für Heilzwecke eingesetzt worden sein.

         

Das Megalithgrab von Bunsoh wird von einem beeindruckenden Erdwall umschlossen. Ein Gang führt in den großen Erdhügel hinein. Am Ende befindet sich die Megalithanlage. Genau genommen handelt es sich dabei aber um die Reste des früheren Grabhügels, die bei den Ausgrabungen stehen gelassen wurden. Es wirkt, als solle der Schalenstein durch diese Umrandung geschützt werden. Die Wände des Erdhügels sind mit einem Maschendrahtgitter gegen ein Herabrutschen gesichert.

          

Als wir am Schalenstein ankommen, zieht es mich direkt in die Mitte. Ich bin neugierig und möchte die Schälchen berühren. Doreen läuft währenddessen auf dem äußeren Wall herum und betrachtet sich das Megalithgrab von oben. In einigen der Schälchen kann ich für die Göttin abgelegte Gaben entdecken. Wir finden mehrere Vertiefungen, die der gesuchte Fußabdruck sein könnten. Eine der Stellen ist besonders tief, sodass wir ihn hier vermuten. Später lesen wir, dass der Fußabdruck fast vollständig verwittert ist. Die Handabdrücke sind dagegen sehr gut zu erkennen. Wir vergleichen sie mit unseren Händen und stellen fest, dass die Abdrücke im Stein viel größer sind. Es wird gesagt, dass Abbildungen von Händen auf Steinen für die Handflächen der Göttin stehen. Ein schöner Gedanke, hier die Hand der Göttin wirken zu sehen.

(*) Bei einer Sekundärbestattung werden die Körper der Bestatteten nach einiger Zeit, meistens nach mehreren Monaten, wieder ausgegraben. Die Knochenreste bzw. die dabei als wichtig erachteten Knochen werden dann an den endgültigen Ort der Beisetzung gebracht. Dabei handelt es sich oft um ein Clan-Grab, in dem schon die Überreste andere Angehöriger/ Ahneninnen liegen.

Daniela Parr