Zweifellos mischen sich hier ältere und jüngere Sagenmotive, so dass ich zuerst die ältesten Schichten betrachte. Die ganze Gegend muss als größere Kultstätte gesehen werden, in der wiederum das Ahnengrab sowie die Braut und ein Bräutigam im Zentrum stehen. Astronomisch interessant ist, dass die Grabanlage der Glaner und Visbeker Braut Mondorientierungen aufweisen, wobei letztere zum Mittsommer- und Mittwintermond.
Der Visbeker Bräutigam hingegen, also der männliche Partner, orientiert mit seiner Steinstätte ziemlich genau nach dem Ost-West-Verlauf, was auf Sonnenaufgang zur Frühlings- und Herbsttagundnachtgleiche hindeutet. Mythologisch erhalten wir eine Hochzeit von Sonne und Mond, repräsentiert durch eine sakrale Frau und ihren männlichen Partner. Dieser liegt während seiner Wandlungszeit im Schoss der Erdgöttin, jener steinernen Ahnenstätte, die heute Visbeker Bräutigam genannt wird. Die Stätte der Heiligen Hochzeit und der Wiedergeburt lag wahrscheinlich bei der Visbeker Braut, die als Ahnengrab auf eine Göttin hinweist, gleichzeitig durch eine „Braut", d.h. sakrale Frau repräsentiert wird. Damit erhalten wir eine hinreichende Analogie von Ahnengrab, Schoss einer Erdgöttin und „Braut"/Sakralkönigin, die als Wesensgleich gesehen werden müssen. Das erklärt auch die Namensnennung „Brautstein" sowie die Verwandlung in Stein denn dahinter steht ein älteres Motiv, nach dem sich die Ahnfrau im Stein repräsentiert. So steht in Wemitz bei Gardelegen (Sachsen) der Bruutsteen, der einst die „Braut" dargestellt hat, ebenso liegt bei Flechtingen auf dem Brautsteinberg ein Stein, der einer Frau mit Schleier gleicht.
Ich möchte noch auf den schönen Maibrauch einer freien Partnerwahl hinweisen bei dem „die Schönste" zur Maibraut oder Maikönigin wird und mit ihrem männlichen Partner, dem Maibräutigam, Maikönig oder Maibär, schon eine kleine Hochzeit am 1. Mai feiert, während die Heilige Hochzeit am Mittsommertag begann. Heute sind es vor allem Kinderspiele, die in ihrem „Liebesschloss" den Mai besingen und feiern. Nicht zufällig beziehen sich die überlieferten Sagen vom Brautstein fast immer auf einen Hochzeitszug oder Feierlichkeiten an Walpurgis (1.Mai) oder an Mittsommer (Johannistag), wobei das ausgelassene Pfingstbrauchtum ebenfalls zu den sommerlich-erotischen Festlichkeiten gehört. In diesem Sinn sehen wir die Brautklippe in Braunschweig, einen Felsen vor dem Hohnekopf und den Hohneklippen, der vom Volk am 1. Mai oder kurz nach Johanni mit Blumen bekränzt und bestreut wird. Dabei wurde gesungen, was sich aufs Heiraten beziehen soll.
Kurt Derungs
Kurt Derungs ist Ethnologe und Germanist sowie Begründer der
Landschaftsmythologie
www.dielandschaft.org