Region 1
Nordseeküste, Elbe und Weser, Ostfriesland, Weser und Ems

Visbeker Braut und Bräutigam
von Kurt Derungs


Bei der Visbeker Braut handelt es sich um ein sehr großes Großsteingrab aus der Jungsteinzeit (80m x 5m). Die vier hinteren Steine der Anlage haben nach neuesten Untersuchungen wahrscheinlich als Mondwarte gedient.

Der sogenannte Visbeker Bräutigam ist westlich der Visbeker Braut zu finden und ist in Ost-West-Ausrichtung angelegt.



Quellenangabe des nachfolgenden Textes und des Bildes:
Kurt Derungs: Mythologische Landschaft Deutschland. Bern 1999, Seite 167-170
© edition amalia www.dielandschaft.org


Zu den beeindruckendsten Megalith- und Grabanlagen in Verbindung mit dem Brautstein führt uns die Visbeker Braut und der Visbeker Bräutigam in Oldenburg, wo sich eine ganze Ansammlung von Megalithbauten befindet, unter anderem die Glaner Braut in der Gemeinde Wildeshausen. Bei der Visbeker Braut umschließt ein Rechteck von 80 m Länge und 5 m Breite eine ehemalige Grabkammer. Rund vier Kilometer südwestlich davon entdecken wir den Visbeker Bräutigam mit einer Seitenlänge von 104 m und einer Breite von 8,5 m, dessen Steine ebenfalls ein Ganggrab markieren. Gemäß der Sage repräsentieren die Visbeker Steine den Hochzeitszug eines Bräutigams und einer Braut, die dem ungeliebten Mann in seine Sippschaft folgen muss. Im Hochzeitszug der zukünftigen Frau, der für die Braut ein Trauerzug ist, wünscht das Mädchen, lieber zu Stein zu werden als dem auferzwungenen Mann nachzukommen. So geschieht es auch, und alle werden in Stein verwandelt.

Zweifellos mischen sich hier ältere und jüngere Sagenmotive, so dass ich zuerst die ältesten Schichten betrachte. Die ganze Gegend muss als größere Kultstätte gesehen werden, in der wiederum das Ahnengrab sowie die Braut und ein Bräutigam im Zentrum stehen. Astronomisch interessant ist, dass die Grabanlage der Glaner und Visbeker Braut Mondorientierungen aufweisen, wobei letztere zum Mittsommer- und Mittwintermond.




Der Visbeker Bräutigam hingegen, also der männliche Partner, orientiert mit seiner Steinstätte ziemlich genau nach dem Ost-West-Verlauf, was auf Sonnenaufgang zur Frühlings- und Herbsttagundnachtgleiche hindeutet. Mythologisch erhalten wir eine Hochzeit von Sonne und Mond, repräsentiert durch eine sakrale Frau und ihren männlichen Partner. Dieser liegt während seiner Wandlungszeit im Schoss der Erdgöttin, jener steinernen Ahnenstätte, die heute Visbeker Bräutigam genannt wird. Die Stätte der Heiligen Hochzeit und der Wiedergeburt lag wahrscheinlich bei der Visbeker Braut, die als Ahnengrab auf eine Göttin hinweist, gleichzeitig durch eine „Braut", d.h. sakrale Frau repräsentiert wird. Damit erhalten wir eine hinreichende Analogie von Ahnengrab, Schoss einer Erdgöttin und „Braut"/Sakralkönigin, die als Wesensgleich gesehen werden müssen. Das erklärt auch die Namensnennung „Brautstein" sowie die Verwandlung in Stein denn dahinter steht ein älteres Motiv, nach dem sich die Ahnfrau im Stein repräsentiert. So steht in Wemitz bei Gardelegen (Sachsen) der Bruutsteen, der einst die „Braut" dargestellt hat, ebenso liegt bei Flechtingen auf dem Brautsteinberg ein Stein, der einer Frau mit Schleier gleicht.

Ich möchte noch auf den schönen Maibrauch einer freien Partnerwahl hinweisen bei dem „die Schönste" zur Maibraut oder Maikönigin wird und mit ihrem männlichen Partner, dem Maibräutigam, Maikönig oder Maibär, schon eine kleine Hochzeit am 1. Mai feiert, während die Heilige Hochzeit am Mittsommertag begann. Heute sind es vor allem Kinderspiele, die in ihrem „Liebesschloss" den Mai besingen und feiern. Nicht zufällig beziehen sich die überlieferten Sagen vom Brautstein fast immer auf einen Hochzeitszug oder Feierlichkeiten an Walpurgis (1.Mai) oder an Mittsommer (Johannistag), wobei das ausgelassene Pfingstbrauchtum ebenfalls zu den sommerlich-erotischen Festlichkeiten gehört. In diesem Sinn sehen wir die Brautklippe in Braunschweig, einen Felsen vor dem Hohnekopf und den Hohneklippen, der vom Volk am 1. Mai oder kurz nach Johanni mit Blumen bekränzt und bestreut wird. Dabei wurde gesungen, was sich aufs Heiraten beziehen soll.

Kurt Derungs

Kurt Derungs ist Ethnologe und Germanist sowie Begründer der Landschaftsmythologie
www.dielandschaft.org



Ausflugstipp:
An Wochenenden lohnt sich ein Besuch des Goldenstedter Moors. (ca. 15min Fahrt). Das Moor kann mit einer Bahn befahren werden und die Führung bietet interessante Einblicke in Flora und Fauna (frühzeitig für die Zugfahrt anmelden).